Der „Deutsche Frauenrat“ (DF) und der „Deutsche Juristinnenbund“ (djb) möchte mit den Mitgliedern des Bundestags „fraktionsübergreifend ins Gespräch kommen“. Bei Kaffee, Fruchtsalat und Eierspeisen soll es am 8. November im Paul-Löbe-Haus in Berlin im Raum 4 700 in aller Frühe ans Eingemachte gehen. Denn auf dem Programm des „Parlamentarischen Frühstücks“ steht ein echter Appetitanreger: Die Streichung des Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch und die Legalisierung vorgeburtlicher Kindstötungen bis zum Ende der 22. Schwangerschaftswoche.
Angekündigt sind kurze Beiträge von Beate von Miquel, Ursula Matthiessen-Kreuder und Eske Wollrad sowie der Strafrechtlerin Liane Wörner. Von Miquel ist im Hauptberuf Geschäftsführerin des interdisziplinären Marie Jahoda Center for International Gender Studies an der Ruhr Universität Bochum. Aus dem DF-Mitgliedsverband der „Evangelischen Frauen in Deutschland“ kommend ist sie seit 2021 Vorsitzende des vom Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend geförderten DFs. Matthiesen-Kreuder ist seit 2023 Präsidentin des djb. Ihre Amtszeit endet 2025. Sie lebt und arbeitet in Bad Homburg. Seit 2016 führt sie eine eigene Kanzlei, die auf Arbeitsrecht spezialisiert ist. Im SPD-Ortsverein Bad Homburg bekleidet sie das Amt der Schatzmeisterin.
Ein Entwurf, der es in sich hat
Eske Wollrad ist evangelische Theologin. Die 62-Jährige arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und forscht zu Rassismus, den Critical Whiteness Studies, Weißsein und Postkolonialismus. Liane Wörner ist Inhaberin des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsvergleichung, Medizinstrafrecht und Rechtstheorie an der Universität Konstanz. In der von der Ampelregierung eingesetzten „Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin leitete sie die Arbeitsgruppe 1. Wörner zählt auch zu den Autorinnen des sogenannten „zivilgesellschaftlichen Gesetzesentwurfs zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs“, der vergangene Woche von „Pro Familia“ und 25 weiteren Organisationen in Berlin vorgestellt wurde.
Der hat es in sich und will vorgeburtliche Kindstötungen „auf Verlangen schwangerer Personen“ bis zum Ende der 22. Schwangerschaftswoche nicht bloß unter bestimmten Bedingungen „straffrei“, sondern auch „rechtmäßig“ stellen. „Zu diesem Zeitpunkt ist das ungeborene Kind etwa 23 bis 28 Zentimeter groß und wiegt zwischen 370 und 450 Gramm. Finger und Zehen werden bereits von Nägeln bedeckt. Das Kind im Mutterleib kann bereits die Augenbrauen verziehen oder Purzelbäume schlagen“, weiß die Bundesvorsitzende der Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA), Cornelia Kaminski. Würde der Gesetzesentwurf Gesetz, könne dies und anderes mehr „einer Schwangeren, die eine Abtreibung verlangt, aber niemand mehr mitteilen“. Denn der Gesetzesentwurf sehe zudem vor, „dass die Pflicht zur Beratung entfällt“, so Kaminski. Mehr noch: „Die Kosten für die dann ,rechtmäßige‘ vorgeburtliche Kindstötung“ sollten „von den gesetzlichen Krankenkassen getragen und damit der Solidargemeinschaft der Versicherten aufgebürdet werden“. Und als wäre das noch nicht genug: Kliniken sollen sich nicht mehr weigern dürfen, Abtreibungen durchzuführen.
Es kann kein „Recht auf Abtreibung“ geben
Für Kaminski ist klar: Anders als die geltende Rechtslage, die eine vorgeburtliche Kindstötung als „rechtswidrig“ erachte, aber unter bestimmten Bedingungen bis zur 12. Schwangerschaftswoche „straffrei“ stellt, suche der Gesetzesentwurf ein „Recht auf Abtreibung“ zu errichten. „Ein solches Recht“ könne es aber „nicht geben“. Laut der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts komme das „Recht auf Leben“ (Vgl. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG – „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“) „ungeborenen Menschen in gleicher Weise zu, wie geborenen. … Das Recht auf Leben wird jedem gewährleistet, der lebt; zwischen einzelnen Abschnitten des sich entwickelnden Lebens vor der Geburt oder zwischen ungeborenem und geborenem Leben kann hier kein Unterschied gemacht werden. Jeder im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ist jeder Lebende, anders ausgedrückt: jedes Leben besitzende menschliche Individuum; jeder ist daher auch das noch ungeborene menschliche Wesen“, zitiert Kaminski aus dem Urteil der Höchstrichter (BVerfGE 39, 1).
Auch gelte: „Grundrechte wie das ,Recht auf Leben‘ sind vorstaatliche Rechte. Sie kommen ihren Trägern allein deshalb zu, weil sie Menschen sind. Daher können Grundrechte auch nicht von Staaten verliehen, sondern lediglich von ihnen anerkannt werden. Ein Gesetzgeber, der sich den gestern vorgestellten Gesetzesentwurf zu eigen machen wollte, müsste also behaupten, dass ungeborene Kinder bis zum Ende der 22. Schwangerschaftswoche keine Menschen sind und daher kein Grundrecht auf Leben besäßen, das anerkannt werden müsse. Das widerspricht jedoch dem Stand der Wissenschaft. Ihm zufolge entwickeln sich Menschen nicht zu Menschen, sondern als Menschen.“
Nicht genauso aber doch ähnlich, sieht das der Gießener Staatsrechtler Steffen Augsberg. Im Gespräch mit der aktuellen Ausgabe des Magazins „Grandios“ erklärt Augsberg, eigentlich sei es egal, ob man mit dem Bundesverfassungsgericht sagt, der Mensch entwickele sich als Mensch und nicht zum Menschen oder ob man sagt, das ist eine Art Schwangerschaftsgewebe, das irgendwie zum Menschen werde. „Der Entwicklungsverlauf ist vorgegeben und ein Schwangerschaftsabbruch ist daher auch, wenn ich dem Embryo das Menschsein abspreche, das Abschneiden von Zukunftsaussichten für Menschen. Das kann uns nicht unberührt lassen.“
Als Gesellschaft lebensbejahend agieren
Was ihn „an der Debatte am meisten stört“, sei, „dass wir die offensichtliche Verpflichtung, die wir als Gesellschaft sowohl dem ungeborenen Leben gegenüber als auch den betroffenen Müttern haben, nur dadurch zu erfüllen suchen, dass wir uns überlegen, wie wir das im Strafgesetzbuch regeln.“ Der Experte für Gesundheits- und Medizinrecht, der bis April dieses Jahres acht Jahre lang dem „Deutschen Ethikrat“ angehörte, fordert: „stärker darüber nachdenken, wie wir als Gesellschaft lebensbejahend agieren können und betroffenen Frauen und Familien Unterstützung zuteilwerden lassen. Selbstbestimmung ist immer relational, also gebunden in Beziehung und Bedingungen. Und zu diesen gehört die Lebenssituation und die finanzielle Situation von Müttern. Da müsste man ansetzen, um Frauen die Entscheidung für das Kind zu ermöglichen.“
Ähnlich sieht das der Würzburger Medizinrechtler Rainer Beckmann. „Selbstverständlich sollte ein Rechtsstaat nicht vorrangig auf das Strafrecht setzen, um die Tötung ungeborener Kinder zu verhindern. Flankierend sollten andere Lösungswege gesucht werden“ sagt Beckmann und fragt: „Wo bleibt der Ehrgeiz der Politik, Schwangerschaftskonflikte zu verhindern oder abzumildern?“. Ausgerechnet „im Jubiläumsjahr ,75 Jahre Grundgesetz‘“, den § 218 StGB abzuschaffen, wäre jedoch „ein alarmierendes Zeichen der weiteren Erosion des Rechtsbewusstseins“.
Wer mit dem Schlagwort „Selbstbestimmung“ Abtreibungen rechtfertigen wolle, verkenne deren „wahren Charakter“. Die Tötung ungeborener Kinder sei eine sehr einseitige „Selbstbestimmung“. „Das Kind kann nichts für seine Existenz oder dafür, dass es ,ungewollt‘ ist. Die Verantwortung liegt ganz auf Seiten seiner Eltern. Entscheiden sie sich für eine Abtreibung, wird ein Mensch mit einmaliger Individualität ausgelöscht. Das ist ein Akt ultimativer Fremdbestimmung. Dieses Unrecht kann nur in einer Strafrechtsnorm angemessen zum Ausdruck gebracht werden“, so Beckmann.
Was sagen die Kirchen?
Und die Kirchen? „Die deutschen Bischöfe treten weiterhin für den Erhalt des bestehenden gesetzlichen Schutzkonzeptes nach §§ 218 ff. StGB in Verbindung mit dem Schwangerschaftskonfliktgesetz ein. Es schützt sowohl Selbstbestimmung und Gesundheit der Frau wie das ungeborene Kind und trägt der besonderen Beziehung von Mutter und Kind in der Schwangerschaft (,Zweiheit in Einheit‘) Rechnung“, erklärte noch am Tag, an dem der Gesetzesentwurf vorgestellt wurde, der Pressesprechen der Deutschen Bischofkonferenz (DBK), Matthias Kopp.
Bei einer außerstrafrechtlichen Regelung bestehe „die erhebliche Sorge, dass damit der Anspruch auf gleichen Schutz von ungeborenem wie geborenem menschlichen Leben aufgegeben wird. Denn beim vorgeburtlichen Leben handelt es sich von Anfang an um ein individuelles Leben. Nach unserer christlichen Überzeugung kommen diesem Leben daher der gleiche Schutzanspruch und die gleiche Würde wie dem geborenen Leben zu“, so Kopp weiter.
Auch das Bundesverfassungsgericht habe betont, „dass spätestens mit der Nidation von einem menschlichen Leben auszugehen ist“. Ihm sei daher „der verfassungsrechtlich gebotene Schutz unabhängig vom Entwicklungsstadium zu gewähren“, erläuterte der Sprecher der DBK weiter.
Und die Evangelische Kirchen in Deutschland (EKD)? Die schweigen. Aber wer weiß, vielleicht sprechen ja von Miquel oder Wollrad dafür beim „Parlamentarischen Frühstück“ ein Tischgebet?
Nur: An wen sollten sie sich damit wenden? An Gott, der „ein Freund des Lebens ist“, wie es in einer gemeinsamen Erklärung von EKD und DBK heißt.
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