Der bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) hat klargestellt, dass das Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG) keine pauschale Bannmeile von 100 Metern um Abtreibungseinrichtungen vorschreibt. Einschränkungen von Versammlungen in der Nähe solcher Praxen seien – so die Richter unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts – „nur zulässig, wenn es im Einzelfall Anhaltspunkte dafür gibt, dass dadurch ein unzulässiger Druck auf Schwangere ausgeübt wird“, heißt es in einer Pressemitteilung des BayVGH. Mit diesem Hinweis bestätigte das Gericht eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Regensburg und erklärte die von der Stadt verhängten Auflagen gegen monatliche Gebetswachen für rechtswidrig.
Der Antragsteller, ein Verein, der sich gegen Abtreibungen engagiert, hatte im Februar 2025 bei der Stadt Regensburg zehn Versammlungen angezeigt. Geplant waren Kundgebungen jeweils am Monatsende, unter anderem in etwa 30 bis 40 Metern Entfernung vom Eingang eines Ärztezentrums. Die Stadt untersagte im Juli, die Zwischenkundgebung näher als 100 Meter am Ärztezentrum abzuhalten, um sogenannte „Gehsteigbelästigungen“ im Sinne des SchKG zu verhindern. Nach Ansicht der Stadtbehörden übte die Präsenz von Abtreibungsgegnern „erheblichen Druck“ auf Frauen aus, die dort Beratung oder Eingriffe suchten.
Kein unzulässiger Druck auf Schwangere
Das Verwaltungsgericht Regensburg gab einem Eilantrag gegen die Auflage statt. Der BayVGH bestätigte nun diese Entscheidung. „Das Schwangerschaftskonfliktgesetz schreibt um Abtreibungskliniken keine Bannmeile vor, in der abtreibungskritische Meinungsäußerungen generell verboten sind“, so das Gericht. In dem Fall sei nicht erkennbar, dass durch die Versammlung ein unzulässiger Druck auf Schwangere ausgeübt werde: Die Gebete hätten auf der gegenüberliegenden Straßenseite stattgefunden, ohne dass Passanten angesprochen worden seien. Nach Angaben der Polizei sei bei der Kundgebung im März 2025 lediglich leise gebetet worden; am Haupteingang habe man davon kaum etwas wahrgenommen.
Wolfgang Hering, Vorsitzender der „Helfer Deutschland e.V.“, die bundesweit Gebetswachen organisiert, begrüßte laut der christlichen Menschenrechtsorganisation „ADF International“ die Entscheidung: „Damit wurde mehr als nur eine Gebetswache gerettet, sondern auch Babys, deren Mütter – wir haben das in 26 Jahren sehr oft erlebt – auf den letzten Metern zur Abtreibungsklinik das andächtige Gebet als eine Ermutigung empfinden.“
ADF International unterstützt die Kläger rechtlich. Deutschlanddirektor Felix Böllmann betonte: „Belästigung von Menschen in schwierigen Situationen ist selbstverständlich falsch und auch nach geltender Rechtslage verboten. Unterstützung und Solidarität für Menschen in herausfordernden Situationen zu zeigen, ist hingegen rechtlich nicht zu beanstanden.“ Zudem kritisierte er „unerlaubte politische Einflussnahme“ auf Entscheidungen der Stadtverwaltung und sprach von einem „Wunschgesetz der Abtreibungslobby“.
Warnung vor Einschränkung bei Versammlungs- und Meinungsfreiheit
Hintergrund ist die Reform des SchKG, die am 13. November 2024 in Kraft trat. Sie soll Schwangere vor „Gehsteigbelästigungen“ schützen und sanktioniert „belästigendes Verhalten“ sowie Äußerungen, die „Furcht, Ekel, Scham oder Schuldgefühle“ hervorrufen könnten, im Umkreis von 100 Metern um Abtreibungseinrichtungen. Verstöße gelten als Ordnungswidrigkeit und können mit bis zu 5.000 Euro Bußgeld geahndet werden. Kritiker bemängeln die unklare Formulierung und warnen vor einer Aushöhlung der Versammlungs- und Meinungsfreiheit.
Das Hauptsacheverfahren ist bereits anhängig. Nach Einschätzung von ADF International dürfte auch dort die Freiheit friedlicher Gebetswachen bestätigt werden. Der BayVGH-Beschluss ist unanfechtbar.
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