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Gespaltene Gesellschaft

So reagieren Lebensrechtler, Religions- und Kirchenkritiker auf den Gesetzesentwurf, der vorgeburtliche Kindstötungen bis zum Ende der 22. SSW „rechtmäßig“ stellen will.
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Foto: IMAGO/Christoph Hardt (www.imago-images.de) | Lebensrechtler kritisieren Gesetzesentwurf, der Abtreibung bis zur 22. Schwangerschaftswoche "rechtsmäßig" stellen soll.

Der gestern in Berlin vorgestellte und von 26 Organisationen unterstützte Gesetzesentwurf zur rechtlichen Neuregelung spaltet die Gesellschaft. Während Lebensrechtler ihn dezidiert ablehnen, wird er von anderen massiv gefeiert. Die Vorsitzende des Bundesverband Lebensrecht (BVL), Alexandra Linder, erklärte heute in Berlin, der gestern vorgelegte Entwurf wirke „wie bestellt“ und solle „die Politik unter Druck setzen“. „Denn wahrscheinlich ist diese Legislaturperiode die einzige Chance, dafür eine Mehrheit zu finden“, so Lindern. „Wenig beachtet“ werde hingegen die Tatsache, „dass der Entwurf die legalisierte Abtreibung bis zur 22. Woche post conceptionem fordert, was rechnerisch der 24. Schwangerschaftswoche (post menstruationem)“ entspräche.

Zehen und Finger des „Schwangerschaftsgewebes“ haben schon Nägel

Zu Wort meldete sich auch die Bundesvorsitzende der Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA), Cornelia Kaminski. Sie wies daraufhin, dass ein ungeborenes Kind in der 22. Woche „etwa 23 bis 28 Zentimeter groß“ sei und zwischen „370 und 450 Gramm“ wiege. Befürworter von Abtreibungen behaupten regelmäßig, statt um ein Kind handele es sich um „Schwangerschaftsgewebe“. Kaminski: „Finger und Zehen werden bereits von Nägeln bedeckt. Das Kind kann bereits die Augenbrauen verziehen oder Purzelbäume schlagen. Dies und anderes mehr würde einer Schwangeren, die eine Abtreibung verlangt, aber niemand mehr mitteilen können“. Denn der Gesetzesentwurf wolle nicht vorgeburtliche Kindstötungen bis zum Ende der 22. Schwangerschaftswoche rechtmäßig stellen, sondern sehe ebenso vor, „dass die Pflicht zur Beratung entfällt.“ Auch sollten „die Kosten für die dann ,rechtmäßige‘ vorgeburtliche Kindstötung von den gesetzlichen Krankenkassen getragen“ werden.

Nach Ansicht der BVL-Vorsitzenden Linder täte die Politik „angesichts der besorgniserregenden Abtreibungszahlen besser daran, als Sofortmaßnahme zunächst einmal die Qualität der Schein-Beratungsstellen zu prüfen, eine vollständige Abtreibungsstatistik zu erstellen und eine seriöse, nicht-ideologische Motivforschung voranzubringen.“ Mit „Pro Familia“ und der „Arbeiterwohlfahrt“ (AWO) gehören zu den Unterzeichnern des Gesetzesentwurfs zwei Organisationen, die Schwangerenkonfliktberatungen durchführen und jene Scheine ausstellen, die in Deutschland zur Durchführung einer „rechtswidrigen, aber straffreien“ Abtreibungen berechtigen.

Ein „besonderes Augenmerk“ verdienten laut Linder „auch Organisationen, die sich angeblich für Frauen und ihre Rechte einsetzen (z.B. medica mondiale, UN Women, Terre des Femmes, Sozialdienst muslimischer Frauen, Evangelische Frauen in Deutschland).“ Dies gelte „nur, wenn Frauen sich dem ideologischen Diktat dieser Organisationen unterwerfen. Diese Ideologie behauptet, Abtreibung würde Frauen emanzipieren.“ Dafür gebe es jedoch „keinen Nachweis“. Linder: „In keinem Land der Welt hat eine Legalisierung von Abtreibung Frauen in irgendeiner Weise vorangebracht.“ Auch sehe diese Ideologie „keine Rechte für vorgeburtliche Frauen vor“. Außer Acht gelassen werde ferner, „dass Frauen in einer echten Schwangerschaftskonfliktberatung kaum von selbstbestimmter Entscheidung sprechen, wenn es um Abtreibung geht, sondern eben von einer Konfliktlage, vor allem von männlichem Druck, von finanziellen Sorgen und schwierigen Lebenssituationen“.

„Inkonsistent“ und im Widerspruch zum „Stand der Wissenschaft“ 

„Anders als die geltende Rechtslage, die eine vorgeburtliche Kindstötung als ,rechtswidrig‘ erachtet, aber unter bestimmten Bedingungen bis zur 12. Schwangerschaftswoche ,straffrei‘ stellt, sucht der gestern vorgestellte Gesetzesentwurf ein ,Recht auf Abtreibung‘ zu errichten. Ein solches Recht kann es aber nicht geben“, erklärte Kaminski. Laut der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts komme das ,Recht auf Leben‘ (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG – ,Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit‘) aber „ungeborenen Menschen in gleicher Weise zu, wie geborenen: …Das Recht auf Leben wird jedem gewährleistet, der lebt; zwischen einzelnen Abschnitten des sich entwickelnden Lebens vor der Geburt oder zwischen ungeborenem und geborenem Leben kann hier kein Unterschied gemacht werden. Jeder im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ist jeder Lebende, anders ausgedrückt: jedes Leben besitzende menschliche Individuum; jeder ist daher auch das noch ungeborene menschliche Wesen‘ (Vgl. BVerfGE 39, 1)“, zitierte die ALfA-Bundesvorsitzende aus dem Urteil der Höchstrichter.

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„Ein Gesetzgeber, der sich den gestern vorgestellten Gesetzesentwurf zu eigen machen wollte, müsste behaupten, dass ungeborene Kinder bis zum Ende der 22. Schwangerschaftswoche keine Menschen sind und daher kein Grundrecht auf Leben besäßen, das anerkannt werden müsse. Das widerspricht jedoch dem Stand der Wissenschaft. Ihm zufolge entwickeln sich Menschen nicht zu Menschen, sondern als Menschen.“ Auch müsste der Gesetzgeber dann „gerichtssicher begründen können, wodurch ein Kind mit Beginn der 23. Schwangerschaftswoche zum Menschen wird, dessen Grundrecht auf Leben prinzipiell anerkannt werden muss. Kann er das nicht, würde ein ,Recht auf Abtreibung‘, wie es der Gesetzentwurf zu errichten sucht, überdies bedeuten, dass schwangere Frauen einen Rechtsanspruch auf die Tötung eines unschuldigen und wehrlosen Menschen durch einen Arzt besäßen und dieses bei Bedarf gelten machen können.

Wenn es aber etwas gibt, dass man nach allgemeiner Überzeugung der gesamten Menschheitsfamilie nicht darf, dann ist es die Tötung eines wehrlosen und unschuldigen Menschen“, so Kaminski weiter. Aus all dem folge: „Der Gesetzentwurf ist inkonsistent, er widerspricht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie dem Stand der Wissenschaft.“ Er sei „ferner hochgradig interessengeleitet“ und wolle „unter Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht, Menschen, deren Recht auf Leben respektiert wurde, das Recht verschaffen, das Recht auf Leben anderer Menschen nicht respektieren zu müssen“. 

IfW-Vize-Direktorin: Umwidmung des § 218 StGB „charmanter Einfall“

Die Autorinnen des Gesetzentwurfes schienen „anzunehmen, Selbstbestimmung könne erst einsetzen, wenn ein Schwangerschaftstest positiv ausfällt.“ Kaminski: „In einem freiheitlichen, demokratischen Staat bleibt ein jeder auch Herr über seine Lebenslügen. Ein Staat allerdings, der sich diese zu eigen machte, würde sich nicht nur in den Augen seiner Bürgerinnen und Bürger lächerlich machen, er würde auch aufhören, ein Rechtsstaat zu sein.“

Unterdessen feiern die „Giordano-Bruno-Stiftung“ (gbs) und das aus ihr hervorgegangene „Institut für Weltanschauungsrecht“ (ifw), den von ihnen mitunterzeichneten Entwurf öffentlich ab. Wie es auf dem Internetportal der Stiftung heißt, gehe der gestern in Berlin vorgestellte Gesetzesentwurf über die im April abgegebenen Empfehlungen der von der Bundesregierung eingesetzten „Kommission für reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ „erfreulicherweise“ hinaus und sehe vor, „den selbstbestimmten Schwangerschaftsabbruch vollständig außerhalb des Strafgesetzbuches zu regeln. Konsequent beinhaltet er daher die Aufhebung des aktuell gültigen § 218 StGB, der den selbstbestimmten Schwangerschaftsabbruch bislang unter Strafe stellt. Durch § 218 StGB-neu sollen fortan nur noch Schwangerschaftsabbrüche gegen oder ohne den Willen der Schwangeren sanktioniert werden.“ Den „§ 218 StGB, der zahlreichen Frauen viel Leid brachte, auf diese Weise zum Schutze ihrer Rechte umzuwidmen“, sei „ein durchaus charmanter Einfall“, erklärte die stellvertretende ifw-Direktorin Jessica Hamed.

Kliniken sollen Abtreibungen nicht mehr ablehnen dürfen

„Der Zentralrat der Konfessionsfreien“ begrüßte, dass Krankenhäuser dem Gesetzesentwurf zufolge die Durchführung vorgeburtlicher Kindstötungen nicht mehr ablehnen könnten. „Eine institutionelle Berufung auf Religionsfreiheit kann kein Grund sein, den Versorgungsauftrag nicht zu erfüllen. Zudem sollten nur Beratungsstellen staatlich gefördert werden, die ergebnisoffen und nicht-direktiv beraten“, erklärte die stellvertretende Vorsitzende Ulla Bonnekoh. Ines Scheibe vom „Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung“ forderte, dass „Regierung und Parlament noch in dieser Legislatur den Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch streichen.“ Dies sei „menschenrechtlich und verfassungsrechtlich geboten“ und werde „von der Mehrheit der Bevölkerung gefordert.“ DT/reh

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Meldung Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e.V. Bundesverband Lebensrecht Kindstötung Lebensschutz Schwangerschaftsabbruch

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