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Ein „Aufarbeitungsgesetz“ für nach Abtreibung Verurteilte

Fünfzig Jahre nach der Legalisierung der Abtreibung in Frankreich erkennt das Parlament das „Unrecht“ an, das Frauen und Helfern durch frühere Abtreibungsurteile entstanden sei.
Abtreibungsdemo in Paris
Foto: IMAGO/Telmo Pinto (www.imago-images.de) | Demo am "Tag der Abtreibungsrechte" im September in Paris.

Die französische Nationalversammlung hat am 18. Dezember einstimmig ein Gesetz verabschiedet, das „den Schaden anerkennen“ soll, den Personen erlitten hätten, die „vor dem Gesetz vom Januar 1975 über den Schwangerschaftsabbruch“ strafrechtlich wegen Abtreibung oder Beihilfe verurteilt wurden. Das gilt fünfzig Jahre nach dem „Loi Veil“ (17. Januar 1975), das die Abtreibung bis zur 10. Schwangerschaftswoche (heute bis zur 14. Woche) legalisierte, als symbolische „Rehabilitierung“ dieser Frauen und weiterer Betroffener.

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„Le Monde“ spricht von einem Text, der das damalige Unrecht öffentlich benennen und „aus dem gesellschaftlichen Schatten holen“ will. Als Beispiele werden Michèle Chevalier genannt, die 1972 verurteilt wurde, weil sie ihrer nach einer Vergewaltigung schwangeren 16-jährigen Tochter zu einer Abtreibung verholfen hatte, sowie Marie Louise Giraud, eine sogenannte „Engelmacherin“, die 1943 für illegale Abtreibungen durch die Guillotine hingerichtet wurde.

Laut dem französischen Parlamentsfernsehsender LCP erinnerte die Mitberichterstatterin Marietta Karamanli (Sozialisten) daran, dass zwischen 1870 und 1975 „mehr als 11.660 Menschen wegen Abtreibung verurteilt“ worden seien. Gleichstellungsministerin Aurore Bergé bezeichnete das Gesetz als „Akt der Gerechtigkeit gegenüber diesen Tausenden von Menschen, deren Leben durch ungerechte Gesetze zerstört wurden und die allzu oft aus unserem kollektiven Gedächtnis verschwunden sind“.

Die „Repression“ habe „zu zahlreichen Todesfällen“ geführt

Inhaltlich stellt der Text fest, dass die damalige Strafpraxis – sie stellte „Durchführung, Zugang und Information“ zu Abtreibungen unter Strafe – Grundrechte verletzte, darunter Gesundheitsschutz sowie „sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung“. Die „Repression“ habe „zu zahlreichen Todesfällen“ geführt und körperliches wie seelisches Leid verursacht, schreibt „Le Monde“. Nicht vorgesehen sei eine automatische finanzielle Entschädigung. Der Abgeordnete Guillaume Gouffier Valente spricht von einem „wichtigen Akt der Erinnerung“, zugleich aber von einem „Ausgangspunkt“ für mögliche spätere Wiedergutmachung.

Kern der Neuregelung ist die Einrichtung einer unabhängigen nationalen Kommission. Sie soll „Leiden und Traumata“ von Frauen dokumentieren, die vor 1975 heimlich abtrieben, ebenso von Personen, die Abtreibungen vornahmen oder begleiteten. Damit sollen Erfahrungen gesammelt, bewahrt und weitergegeben werden. „Radio France Internationale“ (RFI) ordnet den Text als „loi mémorielle“ ein – als Aufarbeitungsgesetz, das eine „Pflicht zur Erinnerung“ formuliert.

Nach „Le Monde“ soll die Kommission aber nicht nur erinnern, sondern auch ein „noch wenig erforschtes“ Kapitel der Sozial- und Rechtsgeschichte aufarbeiten und auch Überlegungen zu künftigen Formen finanzieller Entschädigung ermöglichen. RFI weist darauf hin, dass das Gesetz in eine Phase fällt, in der Frankreich seit 2024 die „Abtreibungsfreiheit“ in der Verfassung verankert hat und sich damit auch international als Gegenmodell zu „Rückschritten bei reproduktiven Rechten“ präsentiert.

„Recht auf Abtreibung ständig bedroht“

Feministische Organisationen begrüßten die Abstimmung. RFI zitiert Sarah Durocher (Planning familial) mit dem Bild, man müsse „wie beim Fahrradfahren weiter in die Pedale treten“, weil das „Recht auf Abtreibung ständig bedroht“ sei. Die Women’s Foundation sieht in der Abstimmung eine klare Botschaft „im In- und Ausland“: „Niemand sollte jemals wegen einer Abtreibung verurteilt werden.“ Laut „Le Monde“ ging die Initiative auf feministische Kreise zurück: Eine Petition und ein in „Libération“ veröffentlichter Aufruf hatten eine offizielle Rehabilitierung gefordert. 

Die Entscheidung fällt, während das Europäische Parlament in derselben Woche für die Einrichtung eines EU-Fonds gestimmt hat, mit dem Mitgliedstaaten Frauen unterstützen sollen, die im eigenen Land keinen sicheren Zugang zu Abtreibung haben und diese im Ausland vornehmen lassen.

Am selben Tag verabschiedete die Nationalversammlung außerdem einen Gesetzentwurf „zur Entschädigung von Personen, die zwischen 1945 und 1982 wegen Homosexualität verurteilt wurden“, der im Unterschied zum Abtreibungsgesetz bereits eine finanzielle Regelung vorsieht. Dieser Entwurf hat sein parlamentarisches Verfahren jedoch noch nicht abgeschlossen, da er zwischen Nationalversammlung und Senat weiter beraten wird, so der französische Parlamentsfernsehsender.

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