Die Polnische Bischofskonferenz geht beim Thema Abtreibung auf Konfrontationskurs mit der Regierung von Polens Premierminister Donald Tusk. Am Mittwoch (4.9.) veröffentlichten die Bischöfe eine Stellungnahme eines Expertenteam für Bioethik unter dem Vorsitz von Lublins Weihbischof Józef Wróbel SCJ zu den neuen Leitlinien, die Gesundheitsministerin Izabela Leszczyna und Justizminister Adam Bodnar am vergangenen Freitag vorgestellt hatten.
„Die Mitglieder des Expertenteams der Polnischen Bischofskonferenz für Bioethik“ verfolgten „aufmerksam die Maßnahmen von Mitgliedern der polnischen Regierung zur Liberalisierung der Praxis der Tötung ungeborener Kinder“. „Der Inhalt der Leitlinien sowie die Art und Weise, in der sie veröffentlicht werden“, gäben Anlass „zu größter Sorge“. Man habe „den Eindruck, dass sie direkt darauf abzielen, Abtreibung ohne ethische Reflexion und entgegen des von der Verfassung garantierten Rechtsschutzes“ zu ermöglichen, heißt es zu Beginn der Stellungnahme.
Jedes menschliche Leben ist gleich wichtig
Demgegenüber erinnert das Expertenteam „an die fundamentale Wahrheit der Genetik, dass das Leben eines jeden Menschen mit der Empfängnis beginnt“. Von diesem Moment an entwickele es sich „ununterbrochen auf der Grundlage der in seinem Genom verankerten Prinzipien. Sein Leben ist nicht weniger wichtig als das eines jeden anderen Menschen.“
„Wie grundlegend diese Wahrheit für das gesellschaftliche Leben“ sei, werde einerseits „durch ihre Verankerung in der polnischen Verfassung“ zum Ausdruck gebracht. Andererseits werde diese Wahrheit aber „auch durch das Herz des Menschen in Form der Aufforderung des Gewissens bestätigt“, welche darin bestünde, „das Gute zu tun und das Böse zu meiden“. Von diesem Gebot könne sich der Mensch nicht befreien, „weil es die Grundlage der menschlichen Moral“ betreffe. Seine Missachtung sei „für die sozialen Beziehungen sehr gefährlich“, da sie auch „die Legitimität der anderen Gesetze zum Schutz der menschlichen Werte im sozialen Leben“ untergrabe.
Abtreibung ist keine therapeutische Maßnahme
Abtreibung gehöre weder zu den „zur Behandlung eingesetzten therapeutischen Maßnahmen“, noch könne „die Tötung eines Kindes als Mittel zur Wiederherstellung der Gesundheit der Frau“ betrachtet werden. „Verwundert“ sei das Expertenteam auch über „das faktische Verbot von Konsultation und Konsilien zur Analyse der Gründe für einen Schwangerschaftsabbruch“. Die Richtlinien verletzten „das gesetzlich verankerte Recht des Arztes, aus eigener Initiative einen kompetenten Facharzt zu konsultieren oder ein medizinisches Konsilium gemäß Artikel 37 des Gesetzes vom 5. Dezember 1996 über die Berufe des Arztes und des Zahnarztes zu organisieren“. „Unter Berücksichtigung des Wohlergehens der Patienten, das heißt der Mutter und des ungeborenen Kindes“, ermögliche „die Hinzuziehung erfahrener Ärzte die Suche nach der bestmöglichen Lösung“.
Einschränkung der Gewissensfreiheit „besonders besorgniserregend“
Als „besonders besorgniserregend“ betrachtet das Expertenteam den Versuch, „das in der Verfassung verankerte Recht auf Gewissensfreiheit gesetzlich einzuschränken, das sich in der Möglichkeit ausdrückt, medizinische Maßnahmen zu verweigern, die mit dem Wertesystem des Arztes“, sowie „universellen Werten in Konflikt“ stünden.
Es sei weder „hinnehmbar, eine Kultur der medizinischen Praxis zu schaffen“, in der der Einzelne gezwungen werde, „seine Identität zu verleugnen und sich an Handlungen zu beteiligen, die nach seinem Gewissen moralisch falsch sind“, noch „einen Schwangerschaftsabbruch unter Androhung finanzieller Sanktionen zu erzwingen, einschließlich des Verlusts des Vertrags mit dem nationalen Gesundheitsfonds“. Eine „solche Lösung“ lasse „auch das Grundrecht der Bürger auf Gesundheitsdienstleistungen außer Acht, das durch den Entzug der den Krankenhäusern zustehenden Mittel eingeschränkt“ werde. Wie das Expertenteam weiter schreibt, handele es sich dabei „also nicht um eine Bestrafung der Krankenhausleitungen, sondern der Krankenhausangestellten, die ein Recht auf einen angemessenen Lohn haben, und vor allem der Patienten, die das Recht haben, die verfügbaren Behandlungen in Anspruch zu nehmen.“
Unabhängigkeit des Generalstaatsanwalts steht in Frage
Die Forderung des Generalstaatsanwalts, Verfahren wegen Beihilfe zum Schwangerschaftsabbruch einzustellen oder dem Gericht Anträge auf bedingte Einstellung des Verfahrens wegen geringfügiger sozialer Beeinträchtigung vorzulegen“, gebe ebenfalls „Anlass zu ernsten Bedenken“. Hier stellten die Leitlinien des Generalstaatsanwalts seine eigene „Unabhängigkeit in Frage, die jedem Bürger die Garantie geben sollte, dass sein Fall objektiv und gerecht und ohne nichtmedizinische Einmischung behandelt wird“.
„Im Lichte früherer Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs“ (vom 28. Mai 1997, Az. K. 26/96 und vom 22. Oktober 2020, Az. K 1/20) gebe „es kein Argument für eine Änderung der Auslegung des Zeitpunkts, an dem der rechtliche Schutz des Lebens beginnt. Er sollte ab dem Zeitpunkt der Empfängnis beginnen und die gesamte Schwangerschaft umfassen.“ „Angesichts des grundlegenden Charakters des Rechts auf Leben“ könnten „Handlungen, die sich gegen dieses Recht richten“, auch nicht „als geringfügiger Schaden angesehen werden“.
Kirchenrecht betrachtet Abtreibung als eines der schwersten Verbrechen
Zum Schluss ihrer sechs Punkte umfassenden Stellungnahme erinnert das Expertenteam „an die unveränderte Lehre der Kirche“, derzufolge „,die direkte Abtreibung, d.h. die gewollte Abtreibung als Zweck oder als Mittel, immer eine schwere sittliche Störung darstellt, da sie die absichtliche Tötung eines unschuldigen menschlichen Wesens ist‘ (Johannes Paul II., Enzyklika Evangelium vitae Nr. 62).“ Nach dem Kirchenrecht werde „die Tötung eines ungeborenen Kindes und die Beteiligung an einer solchen Praxis als eines der schwersten Verbrechen behandelt und mit der Exkommunikation bestraft, die von der Teilhabe an den geistlichen Gütern ausschließt, die der Kirche von Christus anvertraut wurden“. (DT/reh)
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