Neue Partei, neue Realität – so wie jedenfalls die Kirchen im gesellschaftlichen Alltag zunehmend keine Rolle mehr spielen, so tun sie das auch nicht im Wahlprogramm des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), der jüngsten momentan im Bundestag vertretenen Partei. Nicht einmal das Wort „Religion“ ist in dem 39 Seiten kurzen Programmentwurf (die finale Fassung war zu Redaktionsschluss noch nicht verfügbar) mit dem Titel „Unser Land verdient mehr“ enthalten. An einer Stelle wird „islamistische Gewalt“ erwähnt, dann taucht der Islamismus nochmal im Kapitel „Frieden im Nahen Osten“ auf, das war’s.
Was nicht bedeutet, dass das am Sonntag (12.01.) verabschiedete Papier überhaupt keine Ansätze böte, die einer christlichen Bewertung zugänglich wären. Aber die allermeisten Punkte befassen sich doch mit Themen, bei denen die Formulierung eines christlichen Standpunkts strittig ist. Spürbar wichtig ist dem BSW das Thema „Frieden“: gegen ein „neues Wettrüsten“ will das BSW eine „Politik der Entspannung, des Interessenausgleichs und der internationalen Zusammenarbeit“ stellen. „Wir wehren uns dagegen, dass immer mehr Ressourcen in Waffen und Kriegsgerät fließen, statt in die Bildung unserer Kinder, die Erforschung umweltschonender Technologien oder unsere Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen“, heißt es in dem Programm. Wer sich vage an die Einlassungen von Papst Franziskus zum gleichen Thema erinnert fühlt, geht wohl nicht gänzlich fehl. Auch spricht sich das BSW für das „von der UNO vorgeschlagene generelle Verbot aller Nuklearwaffen“ aus. Die Ukraine soll „kein weiteres deutsches Steuergeld“ und Israel keine Waffen mehr bekommen. Ob die BSW-Rezepte am Ende jedoch wirklich zu einer friedlicheren Welt führen?
Knallharte Migrationspolitik
Weniger Übereinstimmung mit den von Papst und Hierarchie vertretenen Appellen herrscht im Bereich Migration, in dem das BSW knallhart auftritt. Da heißt es etwa: „Wer aus einem sicheren Drittstaat einreist, hat kein Recht auf Aufenthalt. Wer kein Recht auf Aufenthalt hat, hat keinen Anspruch auf ein Asylverfahren und auch keinen Anspruch auf soziale Leistungen.“ Nimmt man das BSW hier beim Wort, würden also zukünftig überhaupt nur noch Flüchtlinge, die per Flugzeug anreisen, irgendetwas vom Staat bekommen können, schließlich ist Deutschland von sicheren Drittstaaten umgeben. Wenige Sätze später fordert das Papier, „Gesetze und nötigenfalls das Grundgesetz so zu ändern, dass kriminelle Flüchtlinge ihren Anspruch auf ein Asylverfahren in Deutschland verlieren und der Schutz vor Abschiebung auf Fälle begrenzt wird, in denen klare Indizien vorliegen, dass dem Betroffenen im Herkunftsstaat die Todesstrafe droht.“ Asylverfahren will das BSW „nach Möglichkeit außerhalb der EU in sicheren Drittstaaten“ abwickeln, der globale Migrationspakt soll schnellstmöglich gekündigt werden.
Zur Familienpolitik schreibt das BSW, man wolle „finanzielle Rahmenbedingungen schaffen und zu einer Kultur beitragen, in der Menschen sich gerne für Kinder entscheiden“ – was aber wie bei quasi allen anderen Parteien auch nur heißt, „gute Kita- und Ganztagsschulplätze“ überall ausreichend zur Verfügung zu stellen, „um auch Frauen in ihrer Erwerbsarbeit zu unterstützen und gleichwertige Lebensverhältnisse zu fördern“. Frischer wirkt die prononcierte Ablehnung des Ampel-Selbstbestimmungsgesetzes, dieses stellt nach Meinung der Partei eine „Gefährdung“ für Frauen und Mädchen dar, da Männer sich damit „durch bloße Unterschrift“ zur Frau erklären und damit „potentiell Zugang zu Bereichen wie Frauensport, Frauenduschen und Frauengefängnissen“ bekämen. Das BSW scheint dabei wenigstens indirekt auf der biologischen Zweigeschlechtlichkeit zu beharren: „Es muss verhindert werden, dass biologische Männer in Frauenligen konkurrieren.“
Abtreibung? Kommt nicht vor
Und sonst? Fordert das BSW allerhand soziale Wohltaten bei gleichzeitigem Pochen auf den Erhalt des Industriestandorts, was zu widersprüchlichen Maßnahmenpaketen führt. Alle, die während der Corona-Pandemie Vertrauen in die Politik verloren haben, dürften sich dafür in den Forderungen nach Aufarbeitung, der Kritik gegenüber dem Verfassungsschutz und der Skepsis gegenüber dem Gebaren der Öffentlich-Rechtlichen Medien wiederfinden. Die Klima- und Umweltpolitik möchte das BSW „durchdacht“ gestalten, hat allerdings vor allem Ideen, welche der bisherigen Maßnahmen abgeschafft gehören. Auch dieser Aspekt dürfte wenigstens in der kirchlichen Hierarchie nicht unbedingt auf Gegenliebe stoßen.
Fazit: Das Bündnis Sahra Wagenknecht bespielt seine Gründungsthemen: Wirtschaft, Migration, Ukrainekrieg, Politische Korrektheit, Corona. Themen, die sich explizit mit Kirche befassen oder Katholiken besonders am Herzen liegen, werden eher ausgeblendet. So kommt etwa das Thema Abtreibung schlicht gar nicht im Programm vor. Was nicht heißt, dass vom BSW hier eine christliche Haltung zu erwarten wäre: dem in der laufenden Legislaturperiode gestellten Legalisierungs-Gruppenantrag jedenfalls wollten die Abgeordneten zustimmen, berichtete im Dezember die „Zeit“.
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