Der erste österreichische Versuch einer Bundesregierung zu Dritt ist am Freitagvormittag gescheitert. Die liberalen NEOS stiegen aus den Koalitionsverhandlungen mit der Kanzlerpartei ÖVP und den Sozialdemokraten (SPÖ) aus. NEOS-Vorsitzende Beate Meinl-Reisinger bedankte sich zwar warmherzig bei Bundeskanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer, argumentierte aber den Ausstieg ihrer Partei aus der laufenden Regierungsbildung mit der Reformunwilligkeit der Gesprächspartner.
Inhaltlich begründen die NEOS ihren Ausstieg aus den Koalitionsverhandlungen vor allem damit, dass es keine ausreichende Reformwilligkeit in fünf Bereichen gab: bei der Bildungspolitik, beim Haushalt, beim Föderalismus, bei der Gesundheitspolitik und bei den Pensionen. Aus Sicht der Liberalen sind die Sozialdemokraten unter Führung des latent marxistisch gestrickten Parteichefs Andreas Babler und die als Nebenregierung agierenden Sozialpartner daran schuld.
Die NEOS als Reformkraft positioniert
Taktisch haben sich die NEOS damit für die nächste Wahl positioniert: als regierungswillige, aber zu einer großen Reform entschlossene Partei, die nicht mit Ministerposten oder anderen Pfründen zu korrumpieren ist. Ein mutiges, weil für Österreichs politische Kultur eher untypisches Profil. Zumal Beate Meinl-Reisinger ihre Partei keineswegs als radikale Opposition gegen eine denkbare „kleine Koalition“ aus SPÖ und ÖVP positioniert. Sie bot vielmehr parlamentarische Unterstützung für sinnvolle Gesetzesinitiativen an. Damit riskieren die NEOS, für unliebsame Regierungspolitik beim Wähler in Mithaftung genommen zu werden, während sie auf die Möglichkeit einer Mitgestaltung der Regierungspolitik verzichten.
Strategisch schlüssig wäre das liberale Doppelspiel nur, wenn die Bildung einer stabilen Regierung komplett scheitert und es rasch zu Neuwahlen kommt. Dann könnten die NEOS als glaubwürdige Reformkraft punkten, während die SPÖ als Blockierer-Partei dastünde. Doch ÖVP-Chef Nehammer und SPÖ-Chef Babler werden nichts unversucht lassen, Neuwahlen im laufenden Jahr zu vermeiden – schon aus politischem Überlebenstrieb. Denn angesichts der Wahlergebnisse von 2024 werden ihre jeweiligen Parteien gewiss nicht 2025 mit derselben Spitze in eine noch größere Niederlage taumeln wollen.
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