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Politik ist wie ein Drama, aber der Wähler ist der Autor

Nähern wir uns mit der Bundestagswahl dem vorletzten Akt? Hier entscheidet sich, ob das Stück als Tragödie oder als Komödie endet.
Faust, Berliner Ensemble
Foto: imago stock&people (imago stock&people) | Wer ist Faust, wer Mephistopheles im politischen Drama? Das ist wohl eine Frage des Standpunkts. Szene aus Faust I und II, Berliner Ensemble 2015.

In den Geschichtsbüchern wird das Jahr 2024 vorkommen, das ist klar: Immerhin ist eine Bundesregierung vorzeitig an ihr Ende gekommen. In welcher Weise aber Historiker einmal die zurückliegenden zwölf Monate deuten werden, das liegt auch daran, wie im nächsten Jahr die Bundestagswahl ausgehen wird.

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In Theater-Dramen  gibt es das sogenannte „retardierende Moment“. Solche Stücke sind in der Regel Fünfakter, das „retardierende Moment“ setzt dann im vierten Akt ein. Es sorgt kurz vor Schluss nochmal für Spannung, indem es das Drama hinauszögert. Mit diesem erzählerischen Mittel wird das Ende, das nach dem Höhepunkt (in diesem Fall dem Scheitern der Regierung) und dem Wendepunkt (Bundestagswahl) zu erwarten ist, noch einmal in Frage gestellt. In der Tragödie scheint plötzlich die Möglichkeit auf, es könnte doch noch gut ausgehen. In der Komödie wiederum rückt das gute Ende für einen Augenblick noch einmal in die Ferne. Je nach politischem Lager gehen die Hoffnungen bei den einen eher Richtung Tragödie, bei den anderen sind sie auf die Komödie gerichtet. Was aber alle verbindet: Gedanklich sind die meisten schon im fünften Akt, beim großen Schluss. Die unmittelbare Phase nach der Bundestagswahl wird im besten Falle als retardierend wahrgenommen, nicht als für das Drama entscheidend.

Fatalismus ist falsch, die Bürger schreiben das Drehbuch

Das ist aber fatal: Denn auch wenn das politische Geschehen oft wie ein Drama scheint, die Bürger sind nicht das Publikum. Die Wähler sind keine passiven Zuschauer, die ertragen müssen, dass dieses Spiel nach immer wiederkehrenden Gesetzmäßigkeiten vor ihren Augen abläuft. Sie greifen aktiv ein, sie sind die Drehbuschreiber – und zwar durch die zwei Kreuze, die sie bei der Wahl machen. Es gibt anders als im klassischen Drama keinen vorgegeben Ablaufplan dafür, wie sich das Geschehen in den nächsten Monaten zu entwickeln hat. Viel zu viele Menschen glauben aber, es stünde sowieso schon alles fest. Die einen sind vom negativen Fatalismus getrieben, für sie ist klar, das sowieso der große Knall kommen wird. Und dann gibt es noch den positiven Fatalismus, hier gilt das alte Kölsche Motto „Et hätt noch immer jut jejangen“: Wird schon, alles nicht so schlimm.

Sasses Woche in Berlin
Foto: privat / dpa/Montage pwi | Woche für Woche berichtet unser Berlinkorrespondent in seiner Kolumne über aktuelles aus der Bundeshauptstadt.

Klar, beide Haltungen entlasten von Verantwortung. Wer seine Rolle als Bürger so anlegt, der sieht sich nicht als Handelnden auf der Bühne, sondern im Zuschauerraum. Und er sitzt gerne auf dem Polster. Von dort aus lässt sich nämlich schön alles kritisieren und kommentieren, aber persönlich trägt man keine Verantwortung. Diese Haltung ist nicht neu, früher fand man sie am Stammtisch, heute verbreitet sie sich in den sozialen Netzwerken. Nur, so viel Drama wie jetzt hatten wir noch nie in der Bundesrepublik. In den nächsten Monaten wird sich tatsächlich entscheiden, ob dieses Kapitel in der Geschichte als Tragödie oder als Komödie enden wird.   

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Sebastian Sasse

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