Hendrik Streeck hat sich korrigiert. „Es geht nicht ums Sparen, sondern darum, Menschen etwas zu ersparen: Wie wir sie in ihren letzten Lebensphasen verantwortungsvoll begleiten – statt sie aus falschen Anreizen überzuversorgen“, schreibt der Bonner Virologe, der bei der diesjährigen Bundestagswahl für die CDU den Wahlkreis von Konrad Adenauer zurückeroberte, jetzt in einem Gastbeitrag für den Bonner Generalanzeiger und die Rheinische Post.
Zuvor hatte der neue Drogenbeauftragte der Bundesregierung in einer Talkrunde der Welt-TV-Sendung Meinungsfreiheit klare und verbindliche Leitlinien für die Vergabe von Medikamenten gefordert und dabei eine teure Krebstherapie für eine hundertjährige Frau in Frage gestellt: „Es gibt einfach Phasen im Leben, wo man bestimmte Medikamente auch nicht mehr einfach so benutzen sollte“, sagte Streeck.
Sturm der Entrüstung
Der Sturm der Entrüstung derer, die darin eine Altersdiskriminierung erblickten, ließ nicht lange auf sich warten. Heftige Kritik kam sowohl von SPD und FDP als auch von den Kirchen. Auch Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) distanzierte sich. Dabei hätte eigentlich schon die Formulierung „auch nicht mehr einfach so“ anzeigen können, dass Streeck nicht dem prinzipiellen Ausschluss von Hochbetagten von Therapien das Wort geredet hatte.
Das wäre auch mit dem Menschenbild des Grundgesetzes nicht vereinbar. Ihm zufolge ist jeder Mensch einzigartig, unwiederholbar und unwiederbringlich. Und deshalb ist sein Leben genauso kostbar, wie das eines jeden anderen. Worum es wirklich geht, ist im Grunde völlig anders gelagert. In Deutschland herrscht Therapiefreiheit. Ist eine Therapie medizinisch indiziert, dann hat dem Menschenbild des Grundgesetzes zufolge jeder Anspruch auf diese, bei dem genau dies der Fall ist – unabhängig vom Alter.
„Sprechende Medizin“ wird zu schlecht vergütet
Ob eine Therapie induziert ist oder nicht, hängt auch nicht vom Preis ab, sondern einzig und allein davon, ob der erwartbare Nutzen für den jeweiligen Patienten, den möglichen Schaden (meist in Form von Nebenwirkungen) überwiegt, und sein Leiden entweder zu beheben oder spürbar zu lindern vermag. Aber eben genau das ist in der Praxis keineswegs immer der Fall. Auch wenn heute die sogenannte „Therapiezieländerung“ vielerorts dafür bereits sorgt, dass Menschen nicht übertherapiert werden, so gibt es doch weiterhin Fälle, in denen Ärzte sinnlose Therapien verordnen. Sei es, um abrechenbare Leistungen zu generieren, sei es, um sich selbst zu vergewissern, dass sie das ihnen Mögliche auch tatsächlich ausgeschöpft haben.
Um weder der einen noch der anderen Versuchung zu erliegen, brauchen Ärzte mehr Zeit für die Kommunikation mit den Patienten sowie für die Reflexion über sie. Die sogenannte „sprechende Medizin“ ist aber im aktuellen Gesundheitssystem fälschlicherweise zugleich jene, die mit am schlechtesten vergütet wird. Streeck hat also Recht, wenn er argwöhnt, das Gesundheitssystem setze „falsche Anreize“.
Rotstift bei versicherungsfremden Leistungen ansetzen
Darüber hinaus hat der Gesetzgeber die Solidargemeinschaft der Krankenversicherten dazu vergattert, mit ihren Beiträgen etliche versicherungsfremde Leistungen zu finanzieren, die gar keine Heilbehandlungen sind, sondern in die Rubriken „Lifestyl-“ und „Wunschmedizin“ fallen. Wer ernsthaft sparen will, der täte gut daran, zunächst hier den Rotstift anzusetzen.
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