Der Tod der Kessler-Zwillinge lässt viele, die sie auf die eine oder andere Weise kannten, ratlos und mit offenen Fragen zurück. Die wahren und sicher komplexen Umstände ihrer Entscheidung zum gemeinsamen Sterben werden wohl nie endgültig geklärt werden. So, wie der Tod als letztes Rätsel des Menschseins auf Erden ein großes Geheimnis bleibt.
In der aktuellen November-Ausgabe der jesuitischen Publikation „Stimmen der Zeit“ beschreibt Stefan Kiechle SJ die Zeit vor dem Tod als Zeit einer grundstürzenden Einsamkeit und bezieht diesen Gedanken auch auf die Passion Christi, des Mensch gewordenen Gottessohns. Dieser Moment letzten Alleinseins im Angesicht des Todes, er gehört zum Leben und seiner Vollendung.
Vom Lebensbegleiter zum Sterbebegleiter für den assistierten Tod
Wenn im Angesicht des Todes heute Menschen aus ihrer natürlichen und kulturell tief verwurzelten Rolle des Mitfühlens, Tröstens und Linderns von Schmerzen heraustreten und vom Lebensbegleiter zum Sterbebegleiter für den assistierten Tod werden, dann ist neben dem Raum der zwischenmenschlichen Begegnung und Zuwendung auch ein komplizierter Rechtsraum eröffnet. Was bedeutet „freiwillig“? Wie „selbstbestimmt“ ist im Einzelfall die Entscheidung, vor der Zeit aus dem Leben zu scheiden? Welche Interessen auf welcher Seite spielen in diese Entscheidungen hinein?
Der Gesetzgeber hat es in Deutschland bisher nicht vermocht, ein klares Regelwerk zu erstellen. Aber: Das allgemeine Selbstbestimmungsrecht – das Recht auf ein „selbstbestimmtes Sterben“ – wurde vom Bundesverfassungsgericht am 26. Februar 2020 ins Zentrum gestellt. Aktive Sterbehilfe, also wenn jemand einem anderen aktiv den Tod herbeiführt (wie etwa durch eine Injektion), bleibt weiterhin strafbar.
Die detaillierte Gesetzeslage zum assistierten Suizid ist aber zusammengefasst alles andere als lückenlos: Es gibt bislang keine abschließende bundeseinheitliche Regelung, die alle Voraussetzungen klar definiert. Dazu müssten eine Beratungspflicht, eine Altersgrenze und die Prüfung psychischer Erkrankungen gehören.
Es darf keinen Sterbeservice „aus einer Hand“ geben
Vor allem aber darf es keinen Sterbeservice als Komplettpaket „aus einer Hand“ geben. Wenn also eine Gesellschaft ärztlichen Beistand und juristische Hilfestellung im Verbund leistet, entspricht das kaum den Vorstellungen von einer zweifelsfrei abgesicherten Willensentscheidung des alten oder kranken Menschen, der aus dem Leben scheiden will.
Die Organisation, die im Fall von Alice und Ellen Kessler eingebunden war, ist die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS). Die DGHS bestätigt, dass sie die Vermittlung der „Freitodbegleitung" übernommen hat und ließ wörtlich verlauten: „Eine Ärztin und ein Jurist der DGHS begleiteten sie“.
Die Beurteilung der vorausgegangenen Entwicklung ist angesichts fehlender Informationen nicht möglich. Möglich ist aber die Feststellung, dass es dringend nötig ist, ein Gesetzeswerk zur Sterbehilfe so abzufassen, dass die Würde des zum Tode entschlossenen Menschen in jeder Hinsicht gewahrt bleibt. Dazu gehört auch und vor allem der Beistand als Hilfe zum Leben – und nicht zum Tod. Auf Christen und die sie repräsentierenden politischen Verantwortungsträger ruht dabei eine besondere Verantwortung.
Menschenwürdiges Leben bis zum natürlichen Tod fördern
Diese Verantwortung lässt sich nicht auf Gesetze gründen, sondern auf den Glauben. Viele Glaubenszeugen, so wie der heilige Papst Johannes Paul II., haben mit ihrem Leben und Sterben Hilfe und Wegweisung hinterlassen.
Der säkulare, aber über seine Verfassung wertgebundene Staat tut gut daran, seine Aufgabe in der Gestaltung eines menschenwürdigen Lebens bis hin zum natürlichen Tod zu sehen. Eingriffe von außen, die das entstehende und das zu Ende gehende Leben betreffen, darf der Staat nicht kraft Gesetz fördern.
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