Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Leitartikel

Gefahr erkannt, Gefahr gebannt?

Die Humanität einer Gesellschaft zeigt sich in ihrem Umgang mit den Schwachen. Statt Suizidhilfe braucht es mehr Suizidprävention.
Bundestagsdebatte Suizidhilfe
Foto: IMAGO/Sascha Steinach (www.imago-images.de) | Ganz gleich, wie eine gesetzliche Neuregelung der Suizidhilfe aussähe, am Ende würde sie unweigerlich jene Normalisierung bewirken, die sie eigentlich zu verhindern suchte.

Wenn die Bundestags-Debatte zur gesetzlichen Neuregelung der Suizidhilfe eines nicht war, dann eine „Sternstunde“. So werden gewöhnlich Aussprachen genannt, bei denen die Abgeordneten statt der Fraktionsdisziplin allein ihrem Gewissen folgen. Trotz schwerwiegender Konstruktionsfehler der Debatte konnte sich das Ergebnis am Ende sehen lassen. Die drohende Gewöhnung an die Selbsttötung als eine akzeptable Entscheidung und einen gangbaren Weg, aus dem Leben zu scheiden, ist vorerst gebannt. In dem von vielen zu Recht als „Hauruck-Verfahren“ kritisierten Gesetzgebungsverfahren versagte eine Mehrheit der Abgeordneten beiden konkurrierenden Regelungsmodellen die Zustimmung.

Eine gesetzliche Neuregelung der Suizidhilfe ist damit keineswegs endgültig vom Tisch. Und dass es einer solchen bedarf, halten viele weiterhin für erforderlich. Nicht nur in der Politik, sondern auch in der Gesellschaft. Ob sie gelingen kann, bleibt indes fraglich. Denn ganz gleich, wie eine solche Regelung auch aussähe, am Ende würde sie unweigerlich jene Normalisierung bewirken, die sie eigentlich zu verhindern suchte.

Um das Leben eines jeden Bürgers kämpfen

Immerhin bietet die jetzige Situation wenigstens die Möglichkeit, dass Pferd richtig herum aufzuzäumen. Für viele heißt dies: Vor einer gesetzlichen Neuregelung der Suizidhilfe braucht es ein Suizidpräventionsgesetz. Eines, das diesen Namen verdient und das von Experten seit langem gefordert wird. Ohne den Auf- und Ausbau entsprechender Strukturen ist ein solches allerdings nicht zu haben. Das reicht von der Errichtung einer bundesweiten Informations-, Beratungs- und Koordinierungsstelle mit einer bundeseinheitlichen Rufnummer und Webseite, über ein Verzeichnis sämtlicher Hilfsangebote in Deutschland bis hin zum Ausbau bestehender palliativer und hospizlicher Angebote sowie einer spürbaren Verbesserung der Pflege in Alten- und Pflegeheimen. All das kostet Geld. Viel Geld sogar.

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Investitionen, die jedoch, anders als die so kostenlosen wie wohlfeilen Sonntagsreden, ein klares und unmissverständliches Signal aussenden könnten: Staat und Gesellschaft kämpfen um das Leben eines jeden Bürgers und einer jeden Bürgerin. Niemand, der sich als überflüssig oder verzichtbar wähnen darf. Wen in den Stürmen des Lebens der Lebensmut verlässt, dem wird geholfen, ihn wiederzufinden. Ganz gleich, ob er von Alter, Krankheit, Einsamkeit, Überschuldung oder Liebeskummer gequält wird. Und das schnell und unbürokratisch, statt gar nicht oder erst nach Monaten.

Es braucht ein "Sondervermögen Suizidprävention"

Ein „Sondervermögen Suizidprävention“ wäre da ein leuchtendes Beispiel. Eines, das nicht nur den generationsübergreifenden Zusammenhalt innerhalb Deutschlands stärken würde, sondern auch internationale Strahlkraft entfalten könnte. Statt wie in Kanada die Einsparmöglichkeiten im Gesundheitswesen zu berechnen, die sich durch Suizidhilfe erzielen lassen, könnte Deutschland zeigen, was Menschlichkeit ihm wert ist.

Mag das Bundesverfassungsgericht auch ein „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ postulieren. Anspruch einer humanen Gesellschaft muss es sein, dass von diesem niemand Gebrauch machen will. Gut möglich, dass es für Staat und Gesellschaft derzeit gar keine herausforderndere Aufgabe gibt. Und doch gilt: Erst wer sie angeht, erweist sich auch im Vollsinne des Wortes als Mensch.

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Stefan Rehder Bundesverfassungsgericht Lebensschutz Suizidhilfe

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