Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung „Friedenswort“ der DBK

Mit den deutschen Bischöfen zum Weltfrieden

Das neue „Friedenswort“ wirbt für Abrüstung und internationale Kooperation. Die Wirkung auf Außenpolitiker dürfte überschaubar sein.
Atomtest am Bikini-Atoll
Foto: gemeinfrei / United States Department of Energy | Für Atomwaffen können sich die deutschen Bischöfe - in guter katholischer Tradition - nicht wirklich erwärmen.

Westliche Bodentruppen in der Ukraine, gar im Kampfeinsatz gegen Russland? Was der französische Präsident am Rande einer Hilfskonferenz unter Verweis auf „strategische Mehrdeutigkeit“ nicht ausschließen wollte, ist in Deutschland weitgehend als kopfloses Irrlichtern wahrgenommen worden. Doch auch hierzulande streiten die politischen Parteien über die richtige Linie in Fragen von Krieg und Frieden – und sei es nur über die Definition „weitreichender Waffen“. Kann die Katholische Kirche hier Orientierung geben? Der Versuch zumindest ist gemacht: Passend zum ansteigenden Debattenpegel haben die deutschen Bischöfe (wie zuletzt im Jahr 2000) einen „Diskussionsbeitrag“ vorgelegt: Das vergangene Woche veröffentlichte neue „Friedenswort“ mit dem Titel „Friede diesem Haus“. Dem Vorwort zufolge geht es dabei nicht um einen „Lehrtext mit Unfehlbarkeitsanspruch“, sondern um ein „Wort des Nachdenkens“, um dessen „durchaus auch kritische Rezeption“ die Bischöfe bitten. Nun denn.

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Ergebnis der etwa dreijährigen Arbeit der Arbeitsgruppe der DBK-Kommission „Weltkirche“ ist ein 175 Seiten starkes Dokument, das in vier große Abschnitte unterteilt ist. Den Anfang bildet eine erfrischende anthropologische Reflexion. Wie kommt es überhaupt zu Unfrieden, zu Gewalt? Wenngleich der Mensch in seinen Entscheidungen frei sei, so gebe es doch auch „Strukturen der Sünde“: „Alle moralischen Entscheidungen von Menschen formen gewollt oder ungewollt den Charakter der jeweiligen Persönlichkeit. Bestimmte Strukturen und Verhältnisse, die unmoralisches Verhalten begünstigen oder sogar fordern, bringen bevorzugt bestimmte Typen von Persönlichkeiten hervor, die mit ihrem Verhalten wiederum jene Strukturen und Verhältnisse befestigen, denen sich ihre Mentalität verdankt.“ Aus dieser Wechselwirkung ergäbe sich „Kultur oder Unkultur, die die Identität von Völkern, Gruppen oder Organisationen maßgeblich mitprägt“.

Wiederentdeckung der Tugenden

Gegen damit verbundene äußere, aber auch gegen innere Widerstände müsse der Einzelne sich seine Freiheit „erkämpfen“ (wobei der gläubige Mensch die Hilfe Jesu erfahren könne); „fundamental bedeutsam“ sei es in diesem Zusammenhang, „die Tugenden zu rehabilitieren“. „Die Tugend stärkt den Willen, das Gute zu tun, das Laster korrumpiert ihn fortschreitend“ – und es liege auf der Hand, dass Tugenden wie Anstand, Respekt oder Mut „der Kitt des sozialen Miteinanders“ seien. Demgegenüber seien viele gesellschaftliche Übel in „Verhärtungen des Gemüts und der Seele“ begründet. Es könne deshalb „keinen tiefgreifenden gesellschaftlichen und politischen Wandel in der Welt geben, wenn es nicht gelingt, diese Versteinerungen zu sprengen, mit denen sich Menschen vor der Zumutung schützen, ihre schlechten Angewohnheiten aufzugeben“. Dass hierin wohl auch eine konkrete katechetische und seelsorgerische Aufgabe der Kirche liegt, findet im Schlusskapitel stimmigerweise ebenso Erwähnung, wie die heilende Kraft des Sakraments der Versöhnung.

Was aber tun im konkreten Gewaltkonflikt? Schließlich lassen sich von gegnerischen Mächten begonnene Kriege nicht so ohne weiteres kraft eigener individueller Tugend „zivilisieren“. (Militärische) Gewalt könne hier als ultima ratio gerechtfertigt sein, allerdings nur als Gegengewalt, also zur Notwehr und Nothilfe. Ein absoluter Gewaltverzicht sei nicht verlangt, schließlich müsse der Staat die Bürgerschaft vor Gewalt schützen können. Auch fordere Feindesliebe nicht dazu auf, „den Feind aufgrund seiner Feindschaft, sondern aufgrund des gemeinsamen Menschseins zu lieben“. Somit dürfe man sich zur Wehr setzen, und zwar auch für dritte.

Vorsicht vor dem „Anti-Genderismus“

Das anschließende Referat zu den weltpolitischen Veränderungen der vergangenen 25 Jahre hält die normative Flughöhe, stützt sich dabei aber eher auf nicht zwangsläufig unanfechtbare politische Binsenweisheiten. Das „Ende der Geschichte“ nach dem Sturz des Kommunismus sei abgesagt, spätestens nach der russischen Invasion der Ukraine sei dafür die Ära der (nuklearen) Abrüstung an ihr Ende gelangt. Unter den Auswirkungen von Globalisierung und Neoliberalismus hätten vor allem die Armen und Schwachen im globalen Süden zu leiden. Der Klimawandel verschärfe politische Instabilität. Zuwanderung löse, „obwohl die Migrationsforschung überzeugend nachzuweisen vermochte, dass Migrationsprozesse sowohl in den Herkunfts- wie auch den Zielgesellschaften zu Wohlfahrtsgewinnen beizutragen vermögen“, Überfremdungsängste aus, wobei der Nährboden hierfür „von rechtspopulistischen Parteien und Extremisten“ bereitet würde. Internationale Institutionen befänden sich im Niedergang, identitäre Bewegungen im Aufwind. Letztere wiederum würden völkische Konzepte propagieren, womit Ausländerfeindlichkeit und Rassismus, aber etwa auch „Anti-Genderismus“ verbunden sei. „Sie leugnen Diversität und Pluralität“, schließt Ziffer 153 des Dokuments.

Die Welt, so ließe sich zusammenfassen, hat sich aus Sicht der Bischöfe also nicht gerade verbessert. Konkrete Abhilfe sehen die Oberhirten am ehesten in der Besinnung auf international zuletzt angegriffene Prinzipien: Menschenwürde und die unbedingte Achtung der Menschenrechte sowie die möglichst weitgehende Verrechtlichung internationaler Beziehungen unter dem Dach der Vereinten Nationen. Völlig unklar bleibt beim Appell für eine Reform des UN-Sicherheitsrats oder der Forderung danach, die Vereinten Nationen „mit ausreichender Kompetenz“ auszustatten, sodass Unabhängigkeit in „finanzieller, politischer, rechtlicher und militärischer Sicht“ garantiert würde, wie eine solche De-facto-Weltregierung gegen die Interessen der Weltmächte jemals durchgesetzt werden sollte.

Abschreckung ohne Nuklearwaffen?

Auch die Ausführungen zur Rüstungspolitik geraten ambivalent. Während Rüstungsanstrengungen gegenwärtig „unverzichtbares Element einer verantwortlichen Politik“ seien, grenze die damit verbundene Verschleuderung finanzieller und intellektueller Ressourcen aus globaler Perspektive eigentlich an „Irrsinn“. Prinzipiell sei eine drastische Verringerung der Rüstungsausgaben angezeigt. Zur umsetzbaren Forderung nach einer Europäisierung der Rüstungsproduktion tritt die eher unrealistische Forderung an die Bundesregierung, „im Rahmen der NATO einen Prozess anzustoßen und gemeinsam mit den Bündnispartnern Lösungen zu finden, wie die vermutlich auf absehbare Zeit erforderliche Abschreckung ohne Nuklearwaffen gewährleistet werden kann“.

Es sei nämlich „höchste Zeit“, aus der nuklearen Abschreckung auszusteigen. Der „alleinige Verweis“ auf Russland und China stelle sich letztlich „nicht angemessen der eigenen Verantwortung“.  Die FAZ titelte mit Verweis auf diese Passage „Bischöflicher Eiertanz um die Atombombe“, und in der Tat wirken die Ratschläge in ihrer Zerrissenheit zwischen realpolitischen Notwendigkeiten und theoretischem „Weltgemeinwohl“ wenig hilfreich.

Doch ist konkrete Hilfestellung überhaupt das Ziel? Eine Nachfrage bei dem emeritierten Theologen und Friedensforscher Heinz-Günter Stobbe, der selbst an der Erstellung des Friedenswortes beteiligt war, bringt etwas Licht ins Dunkel. „Die Grundmaxime, die die Kirche vertreten muss, ist die der Gewaltminderung. Es darf nicht mehr Gewalt ausgeübt werden, als unbedingt erforderlich.“ Die konkreten Folgerungen daraus seien aber immer Einzelfallabwägungen. Wie also die abstrakte Rüstungskritik ins hier und jetzt übersetzen? „Die Bundeswehr braucht jetzt eine adäquate Ausrüstung, aber sie braucht auch nicht mehr.“ Was dies etwa für das Zwei-Prozent-Ziel der NATO bedeute, ließe sich nicht pauschal sagen. Jedem besinnungslosen Aufrüsten aber müsse man entschieden widersprechen, stellt Stobbe fest.

Politiker-Interesse überschaubar

Ob christlichen Politikern guten Willens damit geholfen ist, ist die eine Frage. Die andere ist, ob das bischöfliche Strategiepapier bei solchen überhaupt auf irgendein Interesse stößt. Eine diesbezügliche Anfrage der Tagespost an fünf namhafte Außenpolitiker der CDU/CSU-Bundestagsfraktion wurde lediglich von einem beantwortet. Der evangelisch-lutherische Abgeordnete Knut Abraham will sich, sobald er Zeit dazu findet, „intensiv mit dem Text beschäftigen“ und attestiert Beiträgen der deutschen Bischöfe auch grundsätzlich einen „hohen Stellenwert“. Einen „Dialog zwischen Politik und Kirche“ auch über die Frage der „nuklearen Abschreckung“ würde Abraham „sehr begrüßen“.

Die bittere Erkenntnis: Ein 175-Seiten-Wälzer überfordert zeitlich erst einmal auch die wenigen, die bischöflichen Einlassungen offen gegenüberstehen. Dieses Risiko ist die DBK allerdings offenbar sehenden Auges eingegangen. Denn auch intern war umstritten, ob die Bischofskonferenz überhaupt noch in Form eines solchen Friedenswortes zur weltpolitischen Lage Stellung nehmen soll. „Es gibt gute Gründe, sich zu fragen, ob in unserer Zeit so umfangreiche und komplexe Texte noch ein geeignetes Mittel sind, die Öffentlichkeit zu beeinflussen“, meint Stobbe. Die unmittelbare Wirkung auf Politiker schätzt er eher gering ein. Das Papier sei für diese eben nur eines von vielen. Sinnlos seien derartige Schriftstücke aber nicht. Zumindest stünden sie zur Verfügung, wenn ein Abgeordneter sich doch einmal für die katholische Position interessiere – und könnten so bei der Meinungsbildung helfen.

Für die Gläubigen bleibt das „Friedenswort“ derweil erst einmal nur ein in vielerlei Hinsicht aufschlussreicher Debattenbeitrag. Dass kein Unfehlbarkeitsanspruch besteht, kann dabei nur beruhigen.

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