Die Tage von Friedrich Merz als dem Mann der rhetorischen Schärfe sind vorbei. Denn jetzt beginnt der Wahlkampf. Friedrich Merz setzt schon seit Längerem auf die staatsmännische Attitüde. Zuletzt stellte er das gestern Abend in Essen unter Beweis. Zu Gast als Hauptredner beim Politischen Forum Ruhr von Stephan Holthoff-Pförtner, ehemaliger Anwalt von Helmut Kohl und in der NRW-CDU immer noch eine wichtige Figur, gab Merz in der Essener Philharmonie vor den Augen der politischen und wirtschaftlichen Elite an Rhein und Ruhr den Kanzler in spe: staatstragend in der Hoffnung, das Migrationsproblem schnell zu lösen, möglichst im großen Konsens, aber ohne Bereitschaft zu einer bloß halben Lösung.
Schließlich betonte er: „Wir werden sachlich bleiben und nicht persönlich werden.“ Eine Generalprobe für seinen Auftritt wenige Stunden später am Dienstagmittag zusammen mit Markus Söder vor der Berliner Presse. Und wohl auch das Muster für das öffentliche Bild, das Friedrich Merz künftig als Kanzlerkandidat zeigen will. Dass die Premiere für den „Merz mit Maß“ ausgerechnet in Essen, also mitten im Wüst-Land, gefeiert wird, passt. Denn indem der nordrhein-westfälische Ministerpräsident gestern seinen Verzicht auf die Kandidatur bekanntgab, gleichzeitig deutlich seine Unterstützung für Merz durchscheinen ließ, ist Hendrik Wüst der eigentliche Kanzlermacher.
Merz wäre wohl ein Übergangskanzler
Ob das neben dem Stil nun auch inhaltliche Auswirkungen hat? Pars pro toto steht hier die Grünen-Frage. Während Merz nur bekannte, nicht mit „diesen“ Grünen koalieren zu können, will Markus Söder grundsätzlich jedes Bündnis mit der Partei ausschließen. Merz will hier also mehr taktischen Spielraum offenhalten – Wüst dürfte das passen. Der Westfale kann auch deswegen relativ gelassen dem Sauerländer den Vortritt lassen: Merz wird im November 69, Wüst ist 20 Jahre jünger. Merz wird wohl ein Übergangskanzler werden.
Der neue Merz ist auch gar nicht so neu. Seit er Parteivorsitzender ist, setzt er auf Integration und Mäßigung. Seine ureigensten Anhänger freilich hat er damit enttäuscht und wird sie in diesem Modus vielleicht auch nicht im Wahlkampf begeistern. Sie sollten aber nicht vergessen: Das konziliantere Auftreten ändert nichts an den Inhalten. Merz ist es gelungen, klare Schnitte zur Merkel-Zeit zu ziehen. Das zeigt sich jetzt vor allem in der Migration. Übrigens: Auch Hendrik Wüst vertritt hier eine klare Position, nur eben „mit freundlichem Gesicht“ (Angela Merkel).
Ob Merz diesen Nettigkeits-Modus bis zum Schluss durchhält? Man kann davon ausgehen, er legt den Säbel nicht vollkommen ab. Er hat ihn noch am Gürtel hängen und vielleicht gibt es noch eine Situation, wo er ihn ziehen muss. Vielleicht, wenn sich der Streit um den § 218 zuspitzt? Wahrscheinlich eher nicht. Aber man kann sich ja überraschen lassen.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.