Seit Wochen sucht Emmanuel Macron nach einer ausgewogenen Position im Nahostkonflikt – und tritt dabei von einem Fettnäpfchen ins Nächste. Nachdem er zunächst den Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel auf das Schärfste verurteilt und gar zur Bildung einer internationalen Allianz nach dem Vorbild der Anti-IS-Koalition aufgerufen hatte, forderte er anschließend Israel zu einem Waffenstillstand auf. Es gebe keine Legitimität, Zivilpersonen zu bombardieren, erklärte Macron in einem BBC-Interview. Am selben Tag äußerte er sich in einem Brief an die Franzosen wiederum sehr deutlich in die andere Richtung: „Es gibt kein ‚Ja, aber‘: Die Hamas unschädlich zu machen, ist eine Notwendigkeit.“ Das BBC-Interview trug ihm eine scharfe Rüge seitens Israel ein, ein Telefonat mit Israels Präsident Isaac Herzog musste die Sache wieder geradebiegen. Das klingt mehr nach Topfschlagen im Mienenfeld als nach einem klaren politischen Kurs.
Macrons rhetorische Kehrtwenden und sein Fernbleiben beim großen Marsch gegen Antisemitismus, dem in Paris über 100.000, in ganz Frankreich 183.000 Menschen teilgenommen haben, beides nehmen seine Landsleute ihm übel. Macron habe einen „historischen Moment verpasst“, kommentierte gerade der Chef des Rassemblement National, Jordan Bardella – und nicht nur er: Beobachter im In- und Ausland werten das nicht gesetzte Zeichen des Präsidenten als Einknicken vor potentiell gewaltbereiten Teilen der Banlieue-Bevölkerung.
In dieser Situation wittern seine früheren Konkurrenten um die Präsidentschaft ihre Chance: Während der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon mit antisemitischen Tönen bei muslimischen Wählern zu punkten sucht, braucht Marine Le Pen am rechten Rand gar nicht viel zu sagen: Sie ihre Partei „Rassemblement national“ stehen klar zu Israel und das wird durchaus wahrgenommen. Dort, wo Le Pen 2018 bei einer Demonstration gegen Antisemitismus nicht geduldet wurde, gilt ihre Teilnahme nun als positives Zeichen. Der Chef der bürgerlichen „Républicains“, Eric Ciotti, nutzt Macrons Fernbleiben bei der Kundgebung gegen Antisemitismus, um den Präsidenten politisch abzustrafen und knüpft die zukünftige parlamentarische Zusammenarbeit an klare Zugeständnisse in der Migrationspolitik. DT/fha
Lesen Sie in der kommenden Ausgabe der Tagespost eine ausführliche Analyse zu Frankreichs Innenpolitik seit dem Angriff der Hamas auf Israel.