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Klaus Schroeder: „Die DDR interessiert die Leute nicht“

60 Jahre nach dem Mauerbau: Was wissen die Deutschen über die DDR? Welche Bedeutung hat heute die Erinnerung an die Diktatur und ihre Opfer? Ein Interview mit dem Leiter des Forschungsverbundes SED-Staat, Politik-Professor Klaus Schroeder.
Blick in den Zentraltrakt der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen
Foto: Jens Kalaene (dpa-Zentralbild) | Ein Blick in den Zentraltrakt der ehemaligen Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit in Berlin-Hohenschönhausen. Heute ist dort ein Gedenkstätte, die auch von vielen Schulklassen besucht wird?

Klaus Schroeder, Jahrgang 1949, ist Leiter des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität Berlin. Der Forschungsverbund wurde 1992 mit Unterstützung des Präsidiums der FU gegründet. Damals sollte ein neuer Akzent in der DDR-Forschung gesetzt werden. Den bis dahin vorherrschenden Ansatz, den SED-Staat „als europäischen Industriestaat eigener Art und sein politisches System als legitime alternative Ordnung“ zu betrachten, lehnte man ab. Stattdessen sieht es der Forschungsverbund als seine Aufgabe,  „die äußeren und inneren Voraussetzungen der vierzigjährigen Existenz einer zweiten deutschen Diktatur“ zu untersuchen. Schroeder hat zahlreiche Bücher zum Thema veröffentlicht. Unter anderem: Die DDR. Geschichte und Strukturen (Reclam, 2019) und zusammen mit seiner Frau Monika Deutz-Schroeder, Der Kampf ist nicht zu Ende. Geschichte und Aktualität linker Gewalt (Herder, 2019).

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Herr Professor Schroeder, was wissen die Deutschen 60 Jahre nach dem Mauerbau und drei Jahrzehnte nach der Deutschen Einheit über die DDR und die zweite deutsche Diktatur?

Das Wissen ist insgesamt sehr gering. Das gilt insgesamt, vor allem aber auch für die junge Generation. Ich führe vor meinen Uni -Veranstaltungen bei den Studenten immer eine anonymisierte Fragebogenaktion durch, um ihr Wissen zu testen. Sie wissen zum Beispiel nicht, dass die SED, also die „Sozialistische Einheitspartei Deutschlands“, sich nicht als sozialistische Partei, sondern als kommunistische Partei verstanden hat. Die Mehrheit vertraut darauf, dass das, was im Namen steht, auch richtig sei. Insgesamt lässt sich sagen: Je mehr man nach Westen kommt, um so geringer sind die Kenntnisse. Die Menschen sagen sich: Nordrhein-Westfalen etwa ist doch viel größer als die DDR. Warum soll ich mich damit beschäftigen? Die Menschen interessieren sich nicht für die DDR. Die Auseinandersetzung mit dem SED-Staat hat keinen festen Platz im historischen Gedächtnis.

"Mein Eindruck ist, dass das Wissen über das NS-Regime
bei den jungen Leuten auch eher oberflächlich ist"

Das steht im Gegensatz zu der breiten öffentlichen Auseinandersetzung mit den Verbrechen des NS-Regimes. Wäre der  Ansatz zur politischen Bildung, der hier zu funktionieren scheint, nicht auf die zweite deutsche Diktatur zu übertragen?

Mein Eindruck ist, dass das Wissen über das NS-Regime bei den jungen Leuten auch eher oberflächlich ist. Das Thema wird zwar im Unterricht rauf und runter behandelt. Aber wirkliche Kenntnisse erwerben die Schüler nicht. Ich sehe es ja dann,  wenn sie Geschichte oder Politik studieren. Generell scheint bei vielen jungen Leuten heute die Devise zu gelten: Viel Gesinnung, wenig Wissen. Die quatschen einfach eben schnell etwas nach. Das sieht man ja auch bei anderen Themenbereichen, etwa bei der Debatte um den Klimawandel.

Welche Konsequenzen müssten Ihrer Ansicht nach dann für die politische Bildung gezogen werden?

Politologe Klaus Schroeder
Foto: Lino Mirgeler (dpa) | Der Politologe Klaus Schroeder.

Ich habe schon früher öfter vorgeschlagen, dass man der jüngeren Zeitgeschichte im Geschichtsunterricht eine zentralere Rolle zuschreiben sollte. Meiner Meinung nach sollte man mit diesem Zeitabschnitt, der unmittelbar vor unserer Gegenwart liegt, in der Schule anfangen, bevor man sich dann später Antike, Mittelalter und Früher Neuzeit widmet. Schließlich das Thema „Deutsche Teilung und Wiedervereinigung“ sollte zum verbindlichen Abiturstoff werden. Dann kommen die Schüler nicht darum herum, sich bei ihrer Prüfungsvorbereitung intensiv damit zu beschäftigen.

Hat man nach dem Zusammenbruch der DDR vor drei Jahrzehnten versäumt, sofort entsprechende Akzente in der Erinnerungspolitik zu setzen? Kann man jetzt noch gegensteuern?

Zuerst muss man ja sehen: Die Lehrer, die  bis zehn, fünfzehn Jahre nach dem Zusammenbruch des SED-Staates in Ostdeutschland noch unterrichtet haben, die hatten ja alle noch einen DDR-Hintergrund. Bei denen war das Interesse natürlich sehr gering, diese Zeit genauer zu betrachten. Meine Generation hat in ihrer Schulzeit die gleiche Erfahrung gemacht: Da haben auch noch viele an den Schulen unterrichtet, die über ihre Zeit während des NS-Regimes nicht sprechen wollten. Also wurde das Thema ausgeklammert. Trotzdem gibt es natürlich auch viele engagierte Lehrer, die sich dieser Herausforderung stellen.

Warum hat die DDR, obwohl sie eine Diktatur war, heute ein vergleichsweise gutes Image? Und wie ist einzuschätzen, dass die DDR  vielerorts, gemessen an den Verbrechen des NS-Regimes, als humanere Diktatur gilt?

Das hängt damit zusammen, dass man gemeinhin denkt, in der DDR habe ein hohes Maß an Egalität geherrscht. Wir stellen oft die Frage: Haben Frauen und Männer in der DDR das Gleiche verdient, bekamen Frauen gar fünf Prozent mehr Lohn oder wurden sie 16 Prozent schlechter bezahlt? Die meisten sagen: Der Lohn war gleich. Tatsächlich verdienten Frauen aber 16 Prozent weniger.

Und zu der Frage des humaneren Charakters: Da halte ich es mit Richard Schröder, dem ersten Fraktionsvorsitzenden der SPD in der frei gewählten Volkskammer: Der sagte einmal, ein Mord werde nicht dadurch besser, dass er kein Massenmord sei.

 

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