Herr Hölvényi, Sie haben sich mit Ihrem Bericht „EU-Entwicklungszusammenarbeit zur Verbesserung des Zugangs zu Bildung und Ausbildung in Entwicklungsländern“ dafür eingesetzt, dass religiöse Organisationen stärker von der europäischen Entwicklungshilfe profitieren. Was hat sich seither verändert?
Mehr als 40 Prozent der Bildungseinrichtungen in Subsahara-Afrika sind in der Hand religiöser Organisationen, meist katholisch. Manche Regierungen investieren dagegen nur zwei bis drei Prozent ihres Haushalts in Bildung. Das heißt, die Kirche ersetzt die Rolle des Staates im Bildungswesen in weiten Teilen Afrikas. Kirchen bieten Bildung in Regionen Afrikas an, in denen Staaten und Regierungen schlicht nicht präsent sind. Vielen EU-Entscheidungsträgern war diese Rolle nicht bewusst. Zusätzlich gab es lange ein missverstandenes Neutralitätsprinzip. Die kirchlichen Einrichtungen folgen jedoch den staatlichen Voraussetzungen und sind allen zugänglich. Welche konkreten Veränderungen seit meinem Bericht vor Ort eingetreten sind, lässt sich schwer sagen, da Vereinbarungen mit Regierungen nicht öffentlich sind. Bildung ist zudem eine langfristige Investition; Resultate zeigen sich erst mit Verzögerung.
Eine Stellungnahme des Entwicklungsausschusses stellt eine „kontinuierlich hohe Fehlerrate“ beim EU-Instrument für Außenpolitik fest, das auch Entwicklungshilfe umfasst. Welche Konsequenzen hat es, wenn eine nicht sachgerechte Verwendung von Mitteln bei Partnerorganisationen und Partnerländern festgestellt wird?
„Inzwischen wird Entwicklungshilfe als Ganzes
infrage gestellt. Das finde ich extrem tragisch"
Das Problem ist nicht nur der finanzielle Verlust, sondern der Vertrauensschaden für die gesamte Entwicklungshilfe. Inzwischen wird Entwicklungshilfe als Ganzes infrage gestellt. Das finde ich extrem tragisch. Die EU braucht für die Entwicklungspolitik Ansprechpartner vor Ort. Das sind in der Regel die Regierungen. Um die Zusammenarbeit am Laufen zu halten, ist die EU enorme Kompromisse eingegangen. Konkrete Daten von der EU-Kommission dazu zu erhalten, welcher Anteil der Mittel verschwindet, ist als Europaabgeordneter und auch für uns als Entwicklungsausschuss sehr schwierig. Unsere Kontrollmöglichkeiten im Parlament sind begrenzt. Aufgrund der oft vagen Formulierungen im EU-Haushalt und der mangelnden Nachvollziehbarkeit der unteren Ebenen der Kommissionsverträge sind die Ausgaben in der Praxis weitgehend intransparent. Bei meinen Reisen nach Afrika erlebe ich selbst aber viele Verdachtsfälle von Korruption.
Können Sie dazu Beispiele nennen?
Ich kann meine Vermutungen nicht beweisen, deswegen kann ich dazu kein Beispiel nennen. Ich kann aber sagen, dass Kirchen glaubwürdigere Partner als Regierungen sind, weshalb sie stärker unterstützt werden sollten.
Auch wenn konkrete Daten und Fälle nicht öffentlich einsehbar sind, ist der Missbrauch bekannt. Warum legt die EU trotzdem Quoten fest, bis 2027 mindestens 29 Milliarden Euro für Subsahara-Afrika bereitzustellen?
Die EU muss ihre Hilfe effektiver machen, darf sie aber nicht aufgeben. Das hätte tragische Konsequenzen. Die Not ist groß, und unsere Mittel sind ohnehin begrenzt. Eine Option gegen Korruption in staatlichen Institutionen vorzugehen, wäre, stärker mit Nichtregierungsorganisationen zu arbeiten. Es gibt solche Versuche, doch ist es organisatorisch schwierig.

Eine positive Ausnahme ist Ruanda. Das ostafrikanische Land hat seit 2007 eine gesetzlich verpflichtende Krankenkasse, in der laut offiziellen Zahlen 80 bis 90 Prozent der Bevölkerung versichert sind. Wären afrikanische Länder in der Lage, selbst soziale Sicherungssysteme aufzubauen und zu finanzieren, wenn alle Staatseinnahmen sachgerecht verwendet würden?
Unter anderem in Ländern wie Botswana oder Namibia wäre das möglich, in vielen anderen nicht. Doch auch in den genannten Beispielländern gibt es kaum eine politische Bereitschaft, Steuern zu erhöhen und Sozialsysteme auszubauen. Wie Sie wissen, gab es in Kenia letztes Jahr großen Widerstand, als die Regierung die Steuern erhöhen wollte. Letztlich wurde der Gesetzesentwurf zurückgenommen. Zudem sind afrikanische Regierungen oft stark stammesorientiert, was den Aufbau gesamtgesellschaftlicher Systeme erschwert.
Warum übt die EU-Kommission keinen stärkeren Druck auf Länder aus, die selbst Sozialsysteme aufbauen könnten?
„Europa hat wirtschaftlich und militärisch an Einfluss verloren"
Wir sind nicht in der Position, Druck auf diese Länder auszuüben. Zum einen wegen der kolonialen Vergangenheit, zum anderen wegen des Wettbewerbs mit China, das keine Bedingungen dieser Art stellt. Europa hat wirtschaftlich und militärisch an Einfluss verloren. Solche Bedingungen würden uns nur weiter zurückdrängen.
In anderen Bereichen werden aber Mittel an Bedingungen geknüpft. So knüpft die EU nun Entwicklungshilfe an die Rücknahme abgelehnter Asylbewerber.
Die Rücknahme liegt im strategischen Eigeninteresse der EU. In die Haushaltsführung anderer Staaten kann sich die EU aber nicht einmischen.
Sie sagten, Sie fänden es tragisch, dass Entwicklungshilfe infrage gestellt wird. Aber in den letzten 60 Jahren, seit die Staaten Afrikas unabhängig sind, haben manche Länder eine rückläufige Entwicklung erlebt. Somalia konnte einst seinen Nahrungsmittelbedarf selbst decken, heute ist es von Nahrungsmittellieferungen abhängig. Warum wird trotz mangelnder Effektivität an der Entwicklungshilfe festgehalten?
Sie haben Recht, viele Länder ziehen sich genau deshalb aus der Entwicklungshilfe zurück. Aber die Frage ist: Was passiert dann mit den Empfängerländern? Damit die Menschen eine realistische Möglichkeit auf Beschäftigung und Entwicklung haben, braucht es Bildung und Sicherheit. Darin muss investiert werden.
Bildung allein genügt nicht, um Menschen in Arbeit zu bringen. In Ruanda gibt es eine hohe Quote junger Menschen, die einen Schul- oder Universitätsabschluss haben. Das Land hat dennoch eine hohe Arbeitslosenquote. Ein alternativer Entwicklungsansatz, den nun die USA anwenden wollen, ist, mehr in Handelsabkommen und Unternehmen vor Ort zu investieren. Was halten Sie davon?
Dieser Ansatz ist interessant, aber bislang wenig erforscht. Damit er wirkt, müssten Investoren auch in die Ausbildung der Arbeitskräfte in den Unternehmen investieren. Denn Afrika hat die jüngste Bevölkerung der Welt. Mehr als 40 Prozent der Afrikaner sind jünger als 15 Jahre, während diese Altersgruppe in Europa nur 20 Prozent der Einwohner ausmacht. Bis 2050 wird die Bevölkerung des Kontinents voraussichtlich eine Milliarde erreichen. Damit diese schnell wachsende, junge Bevölkerung den Anschluss an das 21. Jahrhundert nicht verliert, sind massive Investitionen in die Bildung erforderlich. Andernfalls könnte sich diese Dynamik in eine der dringendsten Herausforderungen dieses Jahrhunderts verwandeln.
Eine Evaluation des Wirtschaftspartnerschaftsabkommens zwischen der EU und der „Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika“ zeigt, dass das Abkommen Europa mehr nützt als den afrikanischen Staaten. Sollten solche Abkommen überhaupt geschlossen werden?
„Sollten die Abkommen für Afrikas Partner unprofitabel sein,
werden diese selbst den Ausstieg wählen"
Ja. Sie sichern Europas Einfluss in einem hart umkämpften Markt. Sollten die Abkommen für Afrikas Partner unprofitabel sein, werden diese selbst den Ausstieg wählen.
Ziel des Ansatzes „Handel statt Hilfe“ ist, die Steuereinnahmen der Entwicklungsländer zu erhöhen. Ein Beschluss der Sevilla-Konferenz zur Finanzierung von Entwicklungshilfe, bei der Sie als Delegationsmitglied waren, sieht vor, die Steuerquote auf mindestens 15 Prozent des BIP in Entwicklungsländern zu erhöhen. Wie kann das gelingen?
Ein Schlüssel liegt darin, die Abwanderung gut ausgebildeter Fachkräfte in die USA und nach Europa zu stoppen. Bestimmte Studien legen nahe, dass Afrika aufgrund der Abwanderung von Fachkräften jährlich rund zwei Milliarden US-Dollar verliert, was insbesondere Gesundheitsfachkräfte betrifft. Die EU muss daher Entwicklungs- und Migrationspolitik stärker verknüpfen.
Die Interviewerin ist Journalistin und Afrika-Expertin.
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