Seit gut zwei Wochen hält die von der SPD gewünschte Wahl der Potsdamer Staatsrechtlerin Frauke Brosius-Gersdorf zur Richterin am Bundesverfassungsgericht die Republik in Atem. Am Dienstagabend war die von der gesamten bürgerliche Presse wegen etlicher Positionen zu sehr verschiedenen Fragenstellung massiv Gescholtene in der ZDF-Sendung „Markus Lanz“ zu Gast.
Zuvor hatte sie von einer von ihr beauftragten Anwaltskanzlei eine Erklärung verbreiten lassen, in der sie Teilen der deutschen Medienlandschaft vorwirft, „unzutreffend und unvollständig, unsachlich und intransparent“ über sie berichtet und dabei das Ziel verfolgt zu haben, ihre Wahl zu verhindern. Belege, welche die von ihr erhobenen Vorwürfe untermauern oder „transparent“ hätten machen können, lieferte sie nicht. Auch wehrt sie sich in der Erklärung gegen die Etikettierung als „ultralinks“ und „linksradikal“ und nennt diese „diffamierend und realitätsfern“.
Befremdliches Verständnis von Presse- und Meinungsfreiheit
Große Teile ihres Auftritts bei Lanz nutzte sie, um diese Vorwürfe zu wiederholen und einem Millionenpublikum zur Kenntnis zu bringen. Dagegen ist überhaupt nichts zu sagen. Im Gegenteil: Wer wochenlang so im Zentrum der Kritik stand wie Brosius-Gersdorf hat jedes Recht, sich öffentlich zu erklären und dabei auch auf „Reichweite“ Wert zu legen. Ob sich die Wunschkandidatin der SPD damit jedoch selbst einen Gefallen getan hat, steht auf einem völlig anderen Blatt.
Denn im Grunde hat sich Brosius-Gersdorf in der ZDF-Sendung zum Opfer einer Kampagne stilisiert, die es jedenfalls in den Medien so nicht gegeben hat, und dabei ein befremdliches Verständnis von Presse- und Meinungsfreiheit erkennen lassen. Noch dazu eines, das kaum dazu angetan sein dürfte, jene, die ihre Eignung für das höchste Richteramt in Zweifel ziehen, zum Umdenken zu bewegen.
Kandidaten für das höchste Richteramt habe keinen Anspruch auf Laudationes
Weil niemand aus Zeit-, Platz- und Personalgründen „umfassend“ berichten kann, müssen Medien stets selektieren. Es ist daher nicht nur völlig legitim, dass sich Journalisten in Berichten und Kommentaren auf die strittigen Einlassungen von Brosius-Gersdorf beschränken, es ist sogar geboten. Laudationes oder Nachrufe, in denen das wissenschaftliche Gesamtwerk von Hochschullehren sorgsam gewogen wird, werden von Medienschaffenden für gewöhnlich nur zu runden Geburtstagen oder im Falle des Todes des Betreffenden verfasst.
Für die Wahl eines Kandidaten für das höchste deutsche Gericht ist nicht entscheidend, wie viel Prozent der von ihm vertretenden Positionen unproblematisch sind, sondern wie problematisch die strittigen sind. Wer das nicht akzeptiert und damit nicht souverän umzugehen vermag, stellt sich selbst kein gutes Zeugnis aus. Ferner gilt: Es ist völlig in Ordnung und überdies gang und gebe, dass Journalisten Informanten Anonymität zusichern, wenn sie Informationen, die von allgemeinem Interesse sind, nicht anders erhalten können. Das zu skandalisieren und in ein zwielichtiges Licht zu rücken, ist bestenfalls halbseiden.
Bundesverfassungsrichter machen natürlich auch Politik
Vor allem aber gilt: Abgeordnete des Deutschen Bundestages, Medienschaffende und letztlich auch jeder Bürger und jede Bürgerin haben alles Recht der Welt, diejenigen unter das Brennglas der Kritik zu legen, die Letztentscheidungen treffen, die jeden in diesem Land binden. Und es gibt genügend Zitate der Potsdamer Staatsrechtlerin, die zeigen, dass sie die Verfassung, die sie als Richterin schützen soll, in entscheidenden Punkten ganz anders auslegt, als dies derzeit der Fall ist. Wer nicht Gefahr laufen will, eines Morgens in einem anderen Land aufzuwachen, hat darum jedes Recht, bei den Volksvertretern für eine Ablehnung der Kandidatin zu werben.
Wer so tut, als sei dergleichen undenkbar und als machten Richter nicht auch Politik, will die Bürger für dumm verkaufen. Die mussten erst vor fünf Jahren erleben, wie der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts nicht nur ein von einer überwältigen Mehrheit des Deutschen Bundestags beschlossenes Verbot der „geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“ wieder kassierte, sondern auch, wie er stattdessen ein „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ erfand. Damit nicht genug: Indem die Richter das von ihnen kreierte Recht auch noch gleich an die Menschenwürde banden und dadurch jeglicher Abwägung entzogen, schufen sie gewissermaßen ein neues „Super-Grundrecht“.
In der Lanz-Sendung kam dieses und vieles andere überhaupt nicht zur Sprache. Schon klar: Auch Markus Lanz muss selektieren. Besonders gut vorbereitet auf dieses an Facetten reiche Thema schien er aber diesmal nicht gewesen zu sein.
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