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So begann die Annäherung zwischen polnischen und deutschen Bischöfen

Wie aktuell ist die Botschaft des historischen Briefwechsels von 1965? Stimmen aus Kirche, Wissenschaft und Zivilgesellschaft betonen: Versöhnung bleibt ein langfristiger Prozess.
Denkmal zu Ehren von Boleslaw Kominek, von 1972–1974 Erzbischof von Breslau
Foto: xpooyehx via imago-images.de (www.imago-images.de) | Boleslaw Kominek, von 1972–1974 Erzbischof von Breslau, schrieb den am 18. November 1965 veröffentlichten Versöhnungsbrief.

Am 18. November 1965 richteten die polnischen Bischöfe eine Einladung zur 1.000-Jahr-Feier der Christianisierung Polens an die Bischöfe in beiden deutschen Staaten. Zum 60. Jahrestag des inzwischen berühmten Briefs veranstalteten die Katholische Akademie Berlin und die Kardinal-Stefan-Wyszyński-Universität Warschau (UKSW) ein Online-Gespräch. Darin wurde erneut deutlich, wie bedeutsam der deutsch-polnische Dialog geblieben ist – und wie fragil er zugleich sein kann.

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Der Moderator Thomas Schneider vom SWR Mainz wies darauf hin, dass die zentrale Formel „Wir vergeben und wir bitten um Vergebung“ bis heute als Wendepunkt der kirchlichen und gesellschaftlichen Verständigung gilt – und zugleich als unvollendeter Auftrag.

Auf der Suche nach einem gemeinsamen geistlichen Fundament

Die Gesprächsteilnehmer betonten, dass der Satz nur im Gesamtkontext des Briefes verstehbar ist. Die polnischen Bischöfe beschrieben ausführlich ihre historische Erfahrung und suchten ein gemeinsames geistliches Fundament. Unter kommunistischer Herrschaft und im Kalten Krieg war dies ein mutiger, politisch riskanter Schritt. Die Antwort der deutschen Bischöfe fiel nüchtern aus, wurde in Polen teils als Enttäuschung wahrgenommen und zugleich propagandistisch gegen die Kirche genutzt. Dennoch verteidigten die Unterzeichner beider Seiten den Prozess als den Beginn einer langfristigen Annäherung.

Jörg Lüer, Geschäftsführer der Deutschen Kommission Justitia et Pax, schilderte, wie sein Freiwilligendienst in Auschwitz 1987/88 Begegnungen ermöglichte, die das Bild „der Deutschen“ veränderten. Überlebende sahen in jungen Deutschen ein Hoffnungszeichen; alte Stereotype verloren an Kraft. Pater Zenon Hanas, Generalrektor der Pallotinergemeinschaft in Rom und Provinzial der Warschauer Christ-Königs-Provinz, betonte, dass gerade persönliche Beziehungen – Freundschaften, gemeinsames Arbeiten in Kirche und Gesellschaft – über Jahrzehnte hinweg tragen und Versöhnung konkret erfahrbar machen würden.

Anna Skolimowska, Leiterin der Abteilung für Internationale Beziehungen am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen und Europastudien der UKSW, wies darauf hin, dass der Bischofsbrief in Polen damals ein singulärer Akt moralischer Eigenständigkeit war. Er habe nicht nur Repressionen ausgelöst, sondern auch einen gesellschaftlichen Bewusstseinswandel angestoßen, der später in der Solidarność-Bewegung aufscheine. Die große Aufgabe bleibe jedoch bestehen: Versöhnung sei keine einmalige Erklärung, sondern ein Prozess der Ehrlichkeit und der Bereitschaft, Verletzungen anzuerkennen.

„Asymmetrie der Wahrnehmung“

Im Blick auf aktuelle Spannungen verwiesen die Teilnehmer auf eine „Asymmetrie der Wahrnehmung“. Während Polen deutsche Politik intensiv beobachte, sei das umgekehrt weniger der Fall. Zudem sei Deutschland in Polen über Jahre auch als Projektionsfläche innenpolitischer Konflikte genutzt worden. Die deutsche Russlandpolitik – insbesondere Nord Stream – habe das Vertrauen vieler Polen erschüttert. Erst mit Kurskorrekturen nach 2022 und dem Regierungswechsel in Warschau verbessere sich das Klima wieder.

Die von der früheren polnischen Regierung erhobenen Milliardenforderungen nannte Jörg Lüer politisch überhöht. Er erinnerte daran, dass Deutschland bereits symbolische Gesten, Unterstützung für noch lebende Opfer und sicherheitspolitische Initiativen angeboten habe. Geld könne historische Wunden nicht „lösen“, aber Zeichen der Anerkennung seien weiter notwendig – jetzt, solange es noch Zeitzeugen gibt.

Zenon Hanas erinnerte an die dialogische Vision Pauls VI. und daran, dass der Dialog selbst ein geistlicher Akt bleibe. Die Kirchen beider Länder könnten erneut eine wichtige Brückenrolle spielen: indem sie Räume eröffneten, in denen historische Lasten benannt, aber nicht instrumentalisiert würden; indem sie Vertrauen erneuerten und das gemeinsame europäische Fundament stärkten.

60 Jahre nach dem Bischofsbrief bleibt Versöhnung ein lebendiger Prozess. Die politische Lage hat sich verändert, doch die Grundfragen bleiben: Wie gehen Nachbarn mit einer geteilten Geschichte um? Was bedeutet es heute, zu vergeben und um Vergebung zu bitten? Und wie können Christen in beiden Ländern beitragen, dass aus einer historischen Geste ein dauerhaftes Miteinander wächst?

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