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Julia Nawalnaja: Das andere Russland hat ein Gesicht

Seine Witwe übernimmt das Erbe von Alexej Nawalny und fordert Wladimir Putin heraus. Der sei ein blutrünstiges Monster und Führer einer kriminellen Gang, erklärt sie dem Westen.
Plenarsitzung des Europäischen Parlaments mit Julia Nawalnaja
Foto: Philipp von Ditfurth (dpa) | Alles, was die Witwe des schärfsten Putin-Kritikers in ihrer kurzen Rede im Europäischen Parlament sagte, ist im Russland von heute strafbar und nach Ansicht der Putin-Gang todeswürdig.

Seit zwei Jahren, seit Wladimir Putins massenmörderischem Überfall auf die Ukraine, fragt sich die Welt: Gibt es ein anderes Russland? Gibt es – wenigstens in zarten Ansätzen – eine Alternative zu Putins Russland der Gewalt, des Terrors, der Desinformation und des Imperialismus? Für viele Beobachter war Alexej Nawalny das Gesicht dieses anderen Russlands: Weniger wegen seiner politischen Positionen, sondern wegen seines heroischen und am Ende auch tödlichen Kampfes gegen das „System Putin“ und seine Korruption.

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Als US-Präsident Joe Biden die Witwe Nawalnys vor wenigen Tagen in Kalifornien zum Gespräch empfing und medienwirksam umarmte, wurde klar: Julia Nawalnaja will auch das politische Erbe ihres vom „System Putin“ gefolterten und ermordeten Mannes antreten. Am gestrigen Mittwoch hat sie in einer mit Standing Ovations bedachten Rede im Europäischen Parlament in Straßburg bewiesen, wie sie diese Rolle anlegt: als mutige, unversöhnliche, scharfzüngige Gegnerin Putins und als russische Patriotin.

Wider den westlichen Fatalismus

Zwölf Tage nach dem Tod ihres Mannes und zwei Tage vor seinem Begräbnis schlug Julia Nawalnja dem Kreml den Fehdehandschuh ins Gesicht: Der Mord an ihrem Mann habe bewiesen, dass man mit Putin nicht verhandeln kann, rief sie ins Halbrund des Straßburger Europaparlaments. Und sie widersprach leidenschaftlich dem im Westen wachsenden Fatalismus, man könne Putin ja doch nicht besiegen. Ihre politische Botschaft an den Westen lautet: Putin ist nicht mit Resolutionen oder Sanktionen zu besiegen, denn er ist kein Politiker und sein System ist kein Staat. Putin sei vielmehr „ein blutrünstiges Monster“, das „eine kriminelle Gang“ anführt.

Julia Nawalnaja trommelte in Straßburg zum Kampf gegen ein mafioses System, das man da packen muss, wo es weh tut: beim Geld. Und sie präsentierte dem Westen einen Verbündeten, auf den bisher noch niemand zu hoffen gewagt hat: Millionen unzufriedener Russen. Zehn Millionen Russen seien gegen Putin und seinen Krieg, meinte die Witwe Nawalnys. Darin mag mehr Hoffnung als soziologische Erhebung stecken, aber Julia Nawalnaja wirkt wie eine Frau, die bereit ist, ihr Leben darauf zu verwetten.

Putin zur Verantwortung ziehen

Alles, was die Witwe des schärfsten Putin-Kritikers in ihrer kurzen Rede im Europäischen Parlament sagte, ist im Russland von heute strafbar und nach Ansicht der Putin-Gang todeswürdig. Doch manches, was sie sagte, gibt Hoffnung auf ein anderes Russland. Julia Nawalnaja will, dass Putin dafür zur Verantwortung gezogen wird, was er ihrem Mann und ihrer Familie angetan hat, aber ausdrücklich auch für alles, was er der Ukraine und Russland antut. Es gibt nicht mehr viele Hoffnungsträger für ein besseres Russland nach einer hoffentlich baldigen Implosion des Systems Putin – Julia Nawalnaja ist hier an die Stelle ihres Mannes getreten.

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