Kann man das schon negative Intuition nennen? Der Berliner Regierende Bürgermeister von der CDU, Kai Wegner, macht mit schlafwandlerischer Sicherheit genau das, was seine Wähler nicht wünschen. Zuerst diente er sich der in der Hauptstadt besonders aktiven LGBTQ+-Szene als politischer Erfüllungsgehilfe an. Freilich ohne jedes Gespür dafür, welche unterschiedlichen Strömungen und Richtungen sich alle unter dem Regenbogen-Dach versammeln, geschweige denn mit einem kritischen Sinn, ob das denn alles ohne jeden Widerspruch zu unterstützen sei. Auch dann, wenn man sich das lautere Ziel „Anti-Diskriminierung“ auf die Fahne geschrieben hat.
Jetzt ein neues Beispiel: Der Senat hat einen Gedenktag gegen Islamfeindlichkeit beschlossen. Mal abgesehen davon, dass angesichts der unzähligen Gedenktage, die mittlerweile den Kalender füllen, sich die Frage stellt, ob nicht bald der Gedenktag an den unbekannten Gedenktag eingeführt werden müsste, wird hier auch politisch genau das falsche Zeichen gesetzt. Es wird der Eindruck suggeriert, als müsste der in Deutschland lebende Muslim Sorge haben, Opfer dieser ominösen Islamfeindschaft zu werden.
Opfer einer verbreiteten Islamophilie
Nichts könnte falscher sein als das: Die Muslime in Deutschland sind – wenn überhaupt – Opfer einer in der deutschen Mehrheitsgesellschaft verbreiteten Islamophilie. Natürlich ist der Islam nicht mit dem Islamismus gleichzusetzen. Es ist vielmehr zu wünschen, dass in Deutschland mehr über die Inhalte dieser Religion gewusst wird. Selbstverständlich muss jeder Muslim sein Recht auf Religionsfreiheit wahrnehmen können. Ja, in vielen Moscheegemeinden wird sicherlich auch das geleistet, was der Verfassungsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde einst vor allem mit Blick auf die christlichen Kirchen formuliert hat: Auch dort werden Voraussetzungen für unseren freiheitlichen Staat geschaffen, die dieser eben selbst nicht erzeugen kann.
Zum deutschen Gesamtbild gehört aber eben auch die Einsicht: Es gibt einen gefährlichen Islamismus. Und manche Exponenten dieser Richtung, sind nicht nur zur Gewalt gegen „Ungläubige“ bereit, sie planen den Terror bereits. Zuletzt wurde dies an den Dingolfinger Vorfällen deutlich. Besonders verstörend hier: Es gab offenbar einen Hassprediger, der zu solchen Mordtaten aufgerufen hat. Aber niemand aus der dortigen muslimischen Gemeinschaft fühlte sich berufen, sich an die Sicherheitsbehörden zu wenden.
Es fehlt heute an Zivilcourage. Aber eben nicht in der deutschen Mehrheitsgesellschaft, wie dieser Gedenktag suggerieren will. Sondern es fehlt an Zivilcourage in der muslimischen Gemeinschaft. Hier gilt vielerorts auch dann, wenn höchst problematische Entwicklungen in manchen Islamverbänden kritisch in den Blick genommen werden: Alles egal, ich stelle mich uneingeschränkt vor meinen muslimischen Bruder. Diese falsche Solidarität hat nur eine Folge: Die tatsächliche Islamophobie in Deutschland wird weiter wachsen. Muslime in Deutschland müssen begreifen: Wer will, dass der Islam differenziert gesehen wird, der muss auch selbst bereit sein, zu differenzieren. Wer sich hinter dem Opfermythos versteckt, der darf sich nicht wundern, wenn es dann irgendwann tatsächlich auch Täter gibt, die ohne Rücksicht auf Unterschiede nur noch das Feindbild Islam im Kopf haben.
Wegner deutet die Falschen als Stimmen des Volkes
Schließlich noch etwas zu Kai Wegner: Eigentlich hatte der Berliner Regierende ganz gute Voraussetzungen. Er kommt nicht aus dem akademischen Elfenbeinturm, weiß, wie der kleine Mann bei der Molle Bier an der Theke denkt – der „Law and Order“-Haudrauf aus Berliner Frontstadt-Zeiten, Heinrich Lummer, war einmal sein politischer Lehrmeister. Aber Wegner deutet die Falschen als Volkes Stimme, er hinkt dem eigentlichen Zeitgeist hinterher. Er glaubt immer noch, dass jetzt alles möglichst divers sein müsse. Und up to date will er natürlich mit der CDU als „liberaler Großstadtpartei“ sein (so der Slogan in Berlin seit Richard von Weizsäckers Zeiten in den 80ern).
Die „Toleranz“, die sich aus solchen Quellen speist, ist nicht durchdacht oder irgendwie intellektuell fundiert. Das ist Liberalität, wie sie sich Klein-Fritzchen vorstellt. Man ist „liberal“, weil es schick ist. Wegner sollte wissen, dass es nicht besonders schick ist, wenn man die nächste Wahl verliert.
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