Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Rebellen rücken vor

Im Kongo eskaliert die Gewalt

Die Rebellengruppe M23 hat die wichtige Stadt Goma im Osten der demokratischen Republik Kongo eingenommen. Das Land beschuldigt Ruanda, hinter der Gruppe zu stehen. Wer ist die Gruppe und was will sie erreichen?
Brennende Reifen vor dem Eingang der belgischen Botschaft in Kinshasa, Kongo
Foto: IMAGO/ACP (www.imago-images.de) | Brennende Reifen vor dem Eingang der belgischen Botschaft in Kinshasa, Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo.

Es war nur eine Frage der Zeit: Die Rebellengruppe M23 hat die wichtige Grenzstadt im Osten der demokratischen Republik Kongo, Goma eingenommen. Die kongolesische Armee floh aus der Stadt, rund 1.200 Soldaten gaben ihre Waffen laut der UN bei der Blauhelmmission ab. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beraumte bereits zum zweiten Mal seit der Einnahme Gomas Sonntagnacht eine Dringlichkeitssitzung an.

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UN-Generalsekretär Antonio Guterres telefonierte am Montag mit den Präsidenten Ruandas und der demokratischen Republik Kongo, der neue Außenminister der USA, Marco Rubio, sprach ebenfalls mit dem ruandischen Präsidenten Paul Kagame. Die Botschafterin der Vereinigten Staaten, Dorothy Shea, baute zugleich Druck auf das Nachbarland der demokratischen Republik Kongo auf, indem sie drohte, die USA würden „alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel in Betracht ziehen“, um die Verantwortlichen für die Aufrechterhaltung des bewaffneten Konflikts zur Rechenschaft zu ziehen. Die kongolesische Außenministerin, Thérèse Kayikwamba Wagner, sprach von einer „Kriegserklärung“ und forderte den UN-Sicherheitsrat auf, Sanktionen gegen Ruanda zu verhängen, außerdem verlangte sie ein Embargo auf den Export von Mineralien aus Ruanda.

Kontrollieren die Rebellen Goma langfristig?

Die ostafrikanische Staatengemeinschaft EAC, der sowohl Ruanda als auch die demokratische Republik Kongo angehören, hatte für diesen Mittwoch einen Krisengipfel organisiert, um über die Situation zu beraten, der kongolesische Präsident Felix Tshisekedi sagte allerdings wegen „terminlichen Gründen“ ab. Ein Sprecher der „Congo River Alliance“, der der M23 angehört, kündigte gegenüber der Zeitschrift „Jeune Afrique“ an, dieses Mal Goma, das die Rebellengruppe M23 bereits 2012 erobert hatte, nicht aufgeben zu wollen, sondern langfristig unter Kontrolle behalten zu wollen und den Marsch nach Kinshasa fortzusetzen. Ihr Ziel sei der Sturz des Präsidenten, so der Sprecher.

Laut Berichten der Vereinten Nationen und der USA unterstützt Ruanda die Rebellengruppe M23, die rund 8.000 Kämpfer umfassen soll, mit Waffen und Personal. Ruanda wies die Vorwürfe immer wieder zurück. Seit November 2021 hat die M23 wohl mithilfe der ruandischen Armee weite Teile der Nord-Kivu Provinz eingenommen, wesentliche Zugangsstraßen zu der wichtigen Handelsstadt hatten die Rebellen schon länger unter Kontrolle. 

Unter Vermittlung des angolischen Präsidenten João Lourenço, der bei der Afrikanischen Union zuständig für die Vermittlung in dem Konflikt ist, wurde im Sommer letzten Jahres ein Waffenstillstandsabkommen zwischen der kongolesischen Armee und der Rebellengruppe M23 ausgehandelt, das allerdings von beiden Seiten nicht eingehalten wurde. Im Dezember scheiterten die Friedensgespräche endgültig, da der ruandische Präsident Paul Kagame nicht zu einem Gespräch mit seinem kongolesischen Amtskollegen Felix Tshisekedi erschienen war. Denn Tshisekedi hatte sich geweigert, M23 an den Friedensverhandlungen zu beteiligen, die er als „terroristische Gruppe“ bezeichnete und stattdessen mit der treibenden Kraft hinter M23 direkt sprechen wollte.

Die Rhetorik wird schärfer

Seitdem ist die Rhetorik auf beiden Seiten immer schärfer geworden: Kagame beteuerte vergangene Woche in Bezug auf einen möglichen Angriff auf Ruanda von kongolesischem Territorium aus: „Wir werden wie Menschen kämpfen, die nichts zu verlieren haben. Jemand wird den Preis dafür zahlen, und das sind nicht wir“.

Der Konflikt, der Ostafrika seit bereits 30 Jahren lähmt, geht auf den Genozid in Ruanda 1994 zurück, als vorwiegend Angehörige der Tutsi-Minderheit, sowie widerständige Hutu von radikalen Hutu massenweise ermordet wurden. Als die Miliz RPF, die heutige Regierungspartei Ruandas, im Juli 1994 das Land befreite, flohen sämtliche Täter, die am Genozid maßgeblich beteiligt waren, in die heutige demokratische Republik Kongo. Dort bildeten sie eine Rebellengruppe namens „Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas“ (FDLR), die das erklärte Ziel hatte, nach Ruanda einzumarschieren und die Regierung zu stürzen.

Ruanda wirft seinem Nachbarland vor, die FDLR nicht nur dabei gewähren zu lassen, dass sie Stimmung gegen kongolesische Tutsi machen und diese immer wieder angreifen, sondern gar mit der Rebellengruppe zu kooperieren. Im Osten der demokratischen Republik Kongo leben die sogenannten Banyamulenge und Banyarwanda, die während der Kolonialzeit von den Belgiern in den 1930er Jahren aus dem heutigen Ruanda in die Nord- und Süd-Kivu-Provinzen gebracht wurden, um dort auf Bauernhöfen und in den Minen zu arbeiten. Tatsächlich integrierte die kongolesische Armee, unfähig die FDLR zu besiegen, Kämpfer der Miliz in ihre Reihen. 

Wie die M23 entstand

Mit dem Ziel, die ethnischen Tutsi vor der FDLR zu schützen, gründete der Rebellenführer Laurent Nkunda die Rebellenbewegung „Nationaler Kongress für die Verteidigung des Volkes“ (CNDP). Die Rebellen legten nach einem Friedensabkommen, das ihnen ebenfalls eine Integration in die kongolesische Polizei und Armee versprach, sowie die Gründung einer politischen Partei zusagte, 2009 ihre Waffen nieder. Ein Teil der Tutsi-Miliz beklagte allerdings, dass das Abkommen nicht ausreichend umgesetzt worden sei und formierte sich neu in die Gruppe M23.

Der Name geht auf den 23. März zurück, der Tag, an dem der CNDP ursprünglich seine Waffen niedergelegt hatte. Die reformierte Rebellengruppe nahm schnell Gebiete in der Nord-Kivu Provinz ein und besetzte schließlich 2012 zum ersten Mal die wichtige Handelsstadt an der Grenze zu Ruanda, Goma. Nach internationalem Druck zogen sich die Rebellen jedoch nach zehn Tagen bereits wieder zurück.

Zwar bestreitet die ruandische Regierung bislang, M23 zu unterstützen, rechtfertigt deren Vorgehen in der demokratischen Republik Kongo allerdings mit dem Schutz der Banyamulenge und Banyarwanda, sowie dem Schutz der nationalen Grenzen. Der Genozid ist das alles bestimmende Thema in der Innenpolitik. Die Menschen haben massive Angst, dass so etwas wie 1994 nochmal geschehen könnte – durch eine Bedrohung von Außen ebenso wie durch eine Bedrohung von Innen. Präsident Kagame warnt regelmäßig vor „externen Kräften“, die das Land in Chaos stürzen wollten. 

Zunehmende Ressentiments gegen Ruanda im Kongo

Tatsächlich entstehen laut verschiedener Berichte im Kongo, insbesondere im Osten, zunehmend Ressentiments gegen Ruanda und die Tutsi-Minderheit im Land, die als Komplizen der Regierung in Kigali oder der M23 gesehen werden. Es kam wiederholt zu Grenzvorfällen mit Verletzten und Toten, während auf Demonstrationen zur Vertreibung und Ermordung aller Ruander im Land aufgerufen wurde.

Doch die offensichtliche Unterstützung der M23 durch Ruanda folgt noch einem anderen Zweck: Die Rebellen kontrollieren sämtliche Minen im Osten des Kongo, durch die sie einerseits ihre eigene Kriegswirtschaft am Laufen halten und andererseits Bodenschätze wie das für die Energiewende wichtige Coltan nach Ruanda schmuggeln, von wo es weiter verkauft wird. Damit verdient das Land ordentlich an dem Konflikt in seinem Nachbarland mit. In dem ewigen Krieg ist also kein Ende in Sicht. 

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