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Großerzbischof Schewtschuk beklagt „Genozid“ in der Ukraine

„Kirche in Not“ erinnert an zehn Jahre Krieg in Osteuropa. Der Kiewer Großerzbischof betont: Russland gehe es um die Vernichtung der Ukrainer.
Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk betont: Russland gehe es um die Vernichtung der Ukrainer.
Foto: IMAGO/Eugen Kotenko (www.imago-images.de) | Das Leid der Menschen in der Ukraine stand bei der Pressekonferenz am Mittwoch im Fokus. Dabei sprach Großerzbischof Schewtschuk von einer „sehr schwierigen Periode“ im Leben der ukrainischen Katholiken.

Von einem Genozid am ukrainischen Volk hat der griechisch-katholische Großerzbischof Kiews, Swjatoslaw Schewtschuk, gesprochen. Russland gehe es um die Vernichtung von Ukrainern, betonte Schewtschuk am Mittwoch bei einer Pressekonferenz des internationalen päpstlichen Hilfswerks „Kirche in Not“ im Rahmen von dessen Fastenzeitskampagne. Dies müsse von der Weltgemeinschaft stärker wahrgenommen und entschieden verurteilt werden. Nationale Symbole zu tragen sei zu einer Gefahr geworden, so Schewtschuk weiter. 

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Das Leid der Menschen in der Ukraine stand bei der Pressekonferenz am Mittwoch im Fokus. Dabei sprach Großerzbischof Schewtschuk von einer „sehr schwierigen Periode“ im Leben der ukrainischen Katholiken. Dass die Kirche gemeinsam mit Hilfswerken wie „Kirche in Not“ „wie eine Mutter“ für ihre Kinder sorge sei umso notwendiger, da der Ukrainekrieg die größte humanitäre Krise im Europa der Nachkriegszeit sei.

Dramatische Situation der Kirche: kaum Priester zur Verfügung

Schewtschuk äußerte auch die Sorge, dass die griechisch-katholische Kirche in der Ukraine zum Status einer Untergrundkirche zurückkehren müsse. Die krisenhafte Situation der Kirche äußere sich etwa darin, dass keine Priester mehr zur Verfügung stünden. Dennoch ermutige man die Gläubigen, auch ohne Priester am Sonntag zum Gebet zusammenzukommen. Dies gelte auch dort, wo Kirchen konfisziert worden seien. Derzeit träfen sich viele Gläubige online oder in ihren Häusern zum Gebet, so der Kiewer Großerzbischof. Geheimhaltung sei auch deshalb nötig, weil kirchliche Aktivitäten in den besetzten Gebieten verboten seien. Besonders schwierig sei die Situation, da die Gläubigen sich einer kompletten Überwachung gegenübersähen.

Es grenze an ein Wunder, so Schewtschuk, dass bislang noch niemand an Hunger habe sterben müssen und man die durch den Krieg verursachten Leiden nach Kräften lindern könne. Zugleich beklagte der Erzbischof, dass der Krieg bei vielen in Vergessenheit geraten oder angesichts anderer Konflikte weltweit in den Hintergrund getreten sei.

Schewtschuk richtete den Blick vor allem auf die Kinder in seinem krisengeschüttelten Heimatland. 800.000 Kinder seien von russischen Soldaten nach Russland deportiert worden, erst 388 von ihnen wieder zurückgekehrt. Jedes dieser Kinder habe eine eigene einzigartige Geschichte. Die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit sei essenziell, so Schewtschuk, um die deportierten Kinder zu retten und immer wieder an jene zu erinnern, die noch nicht nach Hause zurückgekehrt seien.

Schulen geschlossen, Kindergärten im Untergrund

Die Geschäftsführende Präsidentin des Hilfswerks, Regina Lynch, erklärte zum Auftakt der Pressekonferenz, dass diese den Krieg in der Ukraine in einem Augenblick ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücke, in dem viele die scheinbar zwei Jahre dauernden Auseinandersetzungen bereits vergessen oder verdrängen wollten. Tatsächlich aber dauere dieser Krieg bereits zehn Jahre, habe er doch mit der Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014 begonnen. Lynch hob auch hervor, welche Anstrengungen „Kirche in Not“ in der vergangenen Dekade unternommen habe, um die katholischen Christen in dieser Not des Krieges zu unterstützen.

Der Apostolische Nuntius in der Ukraine, Erzbischof Visvaldas Kulbokas, bekräftigte, von zehn Jahren Krieg zu sprechen, bedeute zugleich, das Leiden und die Traumatisierung der Bevölkerung anzuerkennen. Dies sei auch deshalb wichtig, weil es inzwischen Zonen in der Ukraine gebe, in denen die Versorgung mit Hilfsgütern nicht mehr gewährleistet sei. Zu den Folgen des Krieges gehöre auch, dass viele Schulen geschlossen seien. In einigen Regionen seien die Menschen dazu übergegangen, Untergrundkindergärten und Schulen einzurichten, um wenigstens ein Minimum an Gemeinschaft und Erziehung für die Kinder zu gewährleisten.

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Zugleich gebe es innerhalb der Ukraine große Unterschiede. Während die Lage in einigen Regionen vergleichsweise entspannt sei, hätten die Menschen in anderen Gegenden alles verloren. Dies trage dazu bei, dass der Krieg in seinem Land weltweit sehr unterschiedlich wahrgenommen werde. Für die Kirche gehe es darum, immer wieder neu daran zu erinnern, dass der leidende Mensch im Mittelpunkt stehe, die Familien, die durch den Krieg zerrissen worden seien und oft Angehörige verloren hätten.

Wirklichkeit des Krieges jeden Tag spürbar

Der Nuntius betonte, dass die Deportation von Kindern auch in der Nuntiatur in Russland bekannt sei und auf diplomatischer Ebene immer wieder neu in Erinnerung gerufen werde, nicht zuletzt durch das vatikanische Staatssekretariat. Die Reaktion auf russischer Seite sei jedoch minimal. Manche der Eltern dächten deshalb, es werde nicht genug für ihre Kinder getan. Der ukrainische Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj habe sich jedoch beim Heiligen Stuhl für die Bemühungen um die verschleppten Kinder bedankt. 

Großerzbischof Schewtschuk betonte, dass die Wirklichkeit des Krieges jeden Tag spürbar sei und bat alle Menschen guten Willens, die Wunden der Ukrainer wahrzunehmen. Deren Leiden bestünden, wie der Nuntius ausführte, nicht nur in den direkten Kriegsfolgen. Die Rate von Herzkrankheiten sowie Krebs- und Immunerkrankungen sei durch die Kriegssituation extrem angestiegen. Auch die Anzahl der Scheidungen habe mit 70 Prozent ein Rekordniveau erreicht.

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