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Gegen die „Charta des Islam in Frankreich“ gibt es Widerstand

Gegen die „Charta des Islam in Frankreich“ gibt es Widerstand von Islamisten. Aber auch die Kirchen protestieren.
Präsident Macron hat dem radikalen Islam den Kampf angesagt
Foto: Ludovic Marin (POOL AFP/AP) | Lange hat Macron das Thema schleifen lassen, nun hat er dem radikalen Islam den Kampf angesagt.

„Wir sind im Krieg“ – diese Feststellung hat der französische Präsident Emmanuel Macron nicht nur für den Kampf gegen die Pandemie getroffen, sondern wie manche führenden Politiker in Frankreich schon vor ihm, auch für den Kampf gegen den radikalen Islam. Aus diesem Krieg ist ein Papierkrieg geworden. Mit einer „Charta des Islam in Frankreich“ und einem „Gesetz zur Stärkung der Prinzipien der Republik“ will die Regierung dem gar nicht imaginären Feind zu Leibe rücken. Und da wird mittlerweile mit Worten und Begriffen viel und scharf geschossen.

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2.647 Änderungsanträge liegen vor

Das Gesetz wird im Parlament debattiert. Nicht weniger als 2.647 Änderungsanträge liegen vor, das ist verdächtig nah an den Spitzenwerten. Das Gesetz hat allerdings auch etliche Unklarheiten und scheint mit heißer Nadel gestrickt worden zu sein. Kein Wunder, lange hat Macron das Thema schleifen lassen, im vergangenen Oktober dann eine Grundsatzrede gehalten und die Terrorangriffe des Herbstes bei Paris und in Nizza sowie die Beleidigungen des türkischen Präsidenten Erdogan und die Kriege der Islamisten in Nahost und Libyen haben das lange schon gärende Unbehagen in Frankreich gegenüber dem Islam zur allgemeinen Überzeugung im Bewusstsein der Franzosen verdichtet, dass hier eine Gefahr auch intra muros lauert, die die Gesellschaft grundlegend verändert.

Es wird wieder der Satz von de Gaulle zitiert, den er prophetisch auf der Höhe des Algerienkrieges, Ende der fünfziger Jahre, seinem Freund Alain Peyrefitte sagte: „Glauben Sie, dass das das französische Volk zehn Millionen Muslime integrieren kann, die morgen zwanzig Millionen und übermorgen vierzig Millionen sind? Wenn wir alle Araber und Berber Algeriens als Franzosen bezeichnen, wie wollen Sie verhindern, dass sie aufs Festland kommen und sich hier niederlassen, wo das Lebensniveau ungleich viel höher ist? Mein Dorf würde nicht mehr Colombey-les-Deux-Eglises heißen, sondern Colobey-les-Deux-Mosquees“. Drei Jahre später, 1962, erklärte Algerien seine Unabhängigkeit. Gekommen sind über die Jahre dennoch viele. Heute zählt Frankreich rund sieben Millionen Muslime, zehn Prozent der Bevölkerung. Beunruhigend aber ist der Anstieg der Kriminalität und Gewalt, die auf die Radikalisierung islamischer Jugendlicher zurückzuführen ist, die Gettobildung und die Tatsache, daß für mittlerweile 57 Prozent der jungen Muslime die Scharia wichtiger ist als die Gesetze der Republik, 2016 waren es nur 47 Prozent.

Fünf der acht Islamverbände haben unterschrieben

De Gaulles Prophezeiung steht wie eine Schrift an der Wand. Dieses Menetekel im Bewusstsein der Franzosen will Macron mit den Papieren bannen. Anders als seine Vorgänger hat er in der Charta klare und kontrollierbare Verpflichtungen aufschreiben lassen. Fünf der acht Islamverbände haben unterschrieben, drei verweigern sich – trotz eines Ultimatums, das am Montag verstrich. Sie fordern eine Änderung und dabei geht es vor allem um die (kontrollierbare) Eindämmung des ausländischen Einflusses. Gemeint ist der lange Arm Ankaras. Etwa 200 der Imame werden von der türkischen Regierung mehr oder weniger indirekt bezahlt und entsandt, um in 250 Moscheen Frankreichs zu predigen. Weitere 70 Moscheen stehen unter dem Einfluss von Milli Görüs, einer national-islamistischen Vereinigung, die auch in Deutschland mehrere zehntausend Mitglieder hat und vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Milli Görüs baut gerade eine riesige Moschee in Straßburg. Die dritte widerspenstige Bewegung, Tabligh, steht unter dem Einfluss der Muslimbrüder, wird von Pakistan aus gelenkt und kontrolliert in Großbritannien etwa die Hälfte aller Moscheen, in Frankreich sind es 50.

Insgesamt vertreten die drei Vereinigungen etwa 15 Prozent der Moscheen in Frankreich – eine kritische Masse. Sie wollen vor allem auch den Primat der Scharia erhalten und fordern eine entsprechende Änderung der Charta. Auch das Postulat, wonach die islamischen Verbände sich nicht politisch betätigen dürfen, wollen sie so nicht akzeptieren. Und natürlich akzeptieren sie auch nicht die von der Wirklichkeit so überwältigend deutlich feststellbare Behauptung, im Islam sei die Frau dem Manne untergeordnet. Die Stellungnahme der drei widerspenstigen Verbände ist de facto eine Kampfansage an Macron. Man setzt schlicht darauf, dass Macron einlenken wird, weil er Angst vor Ausschreitungen oder Gewaltszenen in den Banlieues hat.

Kirchen offen gegen einige Passagen

Anders verhält es sich mit dem Gesetzentwurf zur Stärkung der republikanischen Werte. Etliche seiner 70 Artikel werden im Parlament noch stark verändert werden. Auch weil die Kirchen sich offen gegen einige Passagen ausgesprochen haben. Der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz und Erzbischof von Reims, Eric de Moulins Beaufort, hält das Gesetz für einen „Rückschritt“ für die Religionsfreiheit. Die Möglichkeiten der Kontrolle des Präfekten, also des Staates, und der Eingriffsmöglichkeiten in Buchhaltung und Selbstverwaltung ändere das Verhältnis, das seit 1905 zwischen Staat und Kirche bestehe. Er warnt: „Das Gesetz von 1905 ist eine Freiheitsgesetz. Doch mit dem neuen Gesetz droht es sich in ein Kontroll-, Polizei- und Repressionsgesetz zu wandeln.“ Ähnlich formulieren auch die Protestanten – der Verband der Protestanten Frankreichs vertritt etwa zwei Millionen Gläubige und viertausend Gotteshäuser und Pfarreien – und die jüdischen Rabbiner ihre Bedenken. Sie warnen vor Kollateralschäden. Macron indes will keine lex islamicus. Das Gesetz meidet, anders als in der Ursprungsfassung, das Wort Islamismus. Aber er wird um eine Unterscheidung nicht herumkommen.

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