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Für Christen unwählbar?

Von Abtreibung bis Kirchenasyl vereint das AfD-Programm Positives und Negatives in einem 180-seitigen Mammutprogramm. Was katholische Wähler wissen sollten.
Tino Chrupalla und Alice Weidel bei einer AfD-Pressekonferenz
Foto: IMAGO/Bernd Elmenthaler | Eher Symptom denn Ursache der Polarisierung: die AfD, hier in Gestalt ihrer Bundessprecher Tino Chrupalla und Alice Weidel. Für deutsche Bischöfe ist die Partei unwählbar. Was sagt das neue Wahlprogramm?

Wenn gemeinsame Bundestagsmehrheiten mit der AfD das „Tor zur Hölle“ sind, wie letzte Woche der SPD-Politiker Rolf Mützenich befand, dann ist die AfD wohl der Teufel – und ihr Wahlprogramm eine Art satanische Bibel. Bei einer Wahlprogrammanalyse mit katholischer Brille sollten sich also signifikant größere Differenzen zwischen christlicher Sozialethik und Programm auftun, als bei Analysen der Programme wenigstens jener Parteien, auf deren Seite die Kirchen in der vergangenen Woche im Migrationsstreit intervenierten – oder?

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Nun, die Antwort lautet Ja und Nein. Im AfD-Programm findet sich vieles, was wenigstens mit konservativ christlichen Politikvorstellungen gut harmoniert – und manches, was gängigen Interpretationen katholischer Sozialethik frappant widerspricht; eine Zwiespältigkeit, die übrigens auch unter bürgerlich-liberalen Gesichtspunkten festzustellen wäre.

Pluspunkt Familienpolitik

Zunächst fällt auf: die AfD hat, knapp drei Wochen nach ihrem Riesaer Parteitag, nach einem offenbar aufwändigen Redaktionsprozess ein 180-seitiges Mammutwerk vorgelegt. Keine andere Partei hat auch nur annähernd so viele Seiten gefüllt. Schon allein deswegen finden sich von „Abschiebung aller ausreisepflichtigen Personen“ bis „Zeit für Zusammenhalt“ alle möglichen abseitigen bis durchaus zukunftsträchtigen Vorschläge für ein alternatives Deutschland – dargeboten freilich immer wieder in merklich populistisch-erregtem Tonfall.

Gut anfreunden können dürften sich Christen im Großen und Ganzen mit den familienpolitischen Vorschlägen. Schon die Familiendefinition hebt sich von den teils schwurbeligen Verrenkungen etwa im SPD-Programm wohltuend ab: „Die Familie, bestehend aus Vater, Mutter und Kindern, ist die Keimzelle der Gesellschaft.“ Auch die Rezepte setzen einen gänzlich anderen Fokus, so heißt es etwa, Familien sollten „idealerweise von einem Gehalt leben können und nicht auf eine Doppelberufstätigkeit angewiesen sein.“ Erreichen will die AfD dies mit zweifellos kostspieligen Maßnahmen: So soll für jedes Kind eine Rückzahlung oder entsprechende zukünftige Freistellung von Rentenbeiträgen in Höhe von 20.000 Euro erfolgen. Mit einem „Betreuungsgehalt“ in Höhe des durchschnittlichen Nettolohns vor Geburt des ersten Kindes sollen Eltern echte Wahlfreiheit zwischen Fremd- und Selbstbetreuung während der ersten drei Lebensjahre erhalten. Das Ehegattensplitting will die Partei zu einem Familiensplitting ausweiten, die Erbschaftssteuer soll abgeschafft werden.

Von Klimahysterie bis Sterbehilfe

Hinsichtlich (früh-)kindlicher Bildung vermerkt das Programm, bei der Ausbildung der Erzieher müsse „jede Indoktrination in Bezug auf Gender-Mainstreaming und andere Ideologien unterbunden werden“. Die sieht die AfD nicht nur in der „Sexualpädagogik der Vielfalt“ verwirklicht, die die Entwicklung der Kinder „massiv“ störe und ihre Intimsphäre verletze, sondern auch in „Trans-Kult und Klimahysterie“. Apropos Trans: Bei Minderjährigen sollen Pubertätsblocker und „medizinisch nicht indizierte“ Eingriffe zur Änderung des Geschlechts nach dem Willen der AfD verboten werden – sie seien „häufig fremdgesteuert und ideologisch begründet und können lebenslang psychische und physische Schäden bewirken“. Das Ampel-„Selbstbestimmungsgesetz“ will die Partei rückabwickeln, die „Finanzierung der unwissenschaftlichen Genderforschung“ an Universitäten einstellen. Motto: „Die Realität der Zweigeschlechtlichkeit muss wieder anerkannt werden, auch wenn das Geschlecht bei einer verschwindend geringen Anzahl von Menschen nicht eindeutig zugeordnet werden kann. Weiblichkeit und Männlichkeit sind mit ihren unterschiedlichen Potenzialen etwas Positives. Dadurch können sich Frauen und Männer hervorragend ergänzen.“

Einen mit christlich Vorstellungen ebenfalls gut übereinstimmenden Eindruck machen die vor dem Parteitag teils auch innerparteilich umstrittenen bioethischen Einlassungen. Entschieden hat sich die AfD schließlich für eine bewahrende Linie: den Abtreibungsparagraphen 218 will man beibehalten, auch der § 219 (u.a. Schwangerschaftskonfliktberatung) sei „erforderlich“. Das Programm erlaubt sich an dieser Stelle eine minimale Unschärfe: zwar wird beklagt, dass angesichts von jährlich 100.000 Abtreibungen das Lebensrecht der Kinder nicht ausreichend geschützt sei, und gefordert, dass es keine Werbung für Schwangerschaftsabbrüche geben dürfe, die Wiedereinführung des abgeschafften § 219a wird aber nicht expressis verbis verlangt. Ebenfalls etwas halbseiden: „Bezahlte Leihmutterschaft“ sei, so die Programmautoren, „eine Form von Kinderhandel“, was man ablehne. Klingt fast so, als sei die von liberaler Seite gelegentlich geforderte „altruistische Leihmutterschaft“ auch für die Rechtspopulisten eine Option. Die vorab umstrittene Forderung, den Müttern während der Konfliktberatung Ultraschallaufnahmen ihres Kindes zu zeigen, hat es dafür ins Programm geschafft. Erwähnung finden auch die Themen Sterbehilfe (sei „in der Form ,Tötung auf Verlangen’“ aus gutem Grund verboten) und Organspende (die „Widerspruchsregelung und jede Form eines direkten oder indirekten Zwanges“ lehnt die AfD „entschieden ab“).

Religionsfreiheit: Jein

Wie die CDU in ihrem Wahlprogramm bezieht sich die AfD grundsätzlich auch explizit positiv auf das Christentum, bleibt dabei aber wesentlich abstrakter. So heißt es zum Thema „deutsche Leitkultur“, die deutsche Identität sei „geprägt durch unsere deutsche Sprache, unsere Werte, unsere Geschichte und unsere Kultur“ – letztere wiederum sei „durch das Christentum, das antike Erbe, die Aufklärung, volkstümliche Traditionen sowie unsere künstlerischen und wissenschaftlichen Werke wesentlich beeinflusst“. Das christliche Erbe ist für die Partei also lediglich eines der Versatzstücke, aus denen sich eine deutsche Identität speist. Deutlich wird dies auch an einer Stelle im Kapitel „Bildung, Wissenschaft und Technologieoffenheit“, die ohne christlichen Bezug auskommt, dort heißt es: „Das Menschenbild der AfD sieht jedes Individuum bestimmt durch seine persönliche Freiheit, durch sein Recht auf umfassende Entfaltung und durch seine persönliche Verantwortung gegenüber Mitmenschen und Gemeinwesen. Es gründet sich auf humanistische und abendländische Werte und Normen, in deren Zentrum die Chancengerechtigkeit steht.“

Explizit kritisch werden die Rechtspopulisten gegenüber dem Islam. Islamischen Organisationen den „Körperschafsstatus des öffentlichen Rechts zu verleihen“, den die Kirchen genießen, lehnt die AfD ab. „Islamistische Vereine bzw. Moscheegemeinden“ will man „konsequent“ verbieten, „wenn die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen.“ Das Tragen von Burka und Niqab in der Öffentlichkeit will die Partei untersagen, ein Kopftuchverbot in öffentlichen Einrichtungen wird ebenso gefordert. Und weiter: „Die islamtheologischen Lehrstühle an deutschen Universitäten sind abzuschaffen, und die Stellen sind der bekenntnisneutralen Islamwissenschaft zu übertragen.“ Der Bau von Minaretten und der Muezzinruf seien zu untersagen. Wer hier ein problematisches Verhältnis zur Religionsfreiheit erkennt, geht wohl nicht fehl, obwohl sich die Partei an anderer Stelle „uneingeschränkt“ zur „Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit“ des Grundgesetzes bekennt. Weniger kontrovers dürfte demgegenüber noch die Forderung sein, das öffentliche Eintreten für ein Kalifat unter Strafe zu stellen.

Kirchenasyl soll abgeschafft werden

Mit genuin christlichen Überzeugungen sicherlich nur schwer zu begründen bleibt die auch im vorliegenden Programm ausbuchstabierte Haltung der AfD zur Asyl und Migration. „Unser Maßnahmenkatalog zur Umkehr dieses migrationspolitischen Staatsversagens heißt Remigration“, schreibt die Rechtspartei martialisch, wobei die geforderten Maßnahmen – von der Umwandlung des individuellen Asylrechts zu einer „institutionellen Garantie“ bis zu Zurückweisungen an den Grenzen – durchaus Überschneidungen mit Vorstellungen beinhalten, die auch bei den Christdemokraten zumindest ventiliert werden. Über diese hinaus geht die AfD etwa mit expliziten Forderungen nach der Aufkündigung des UN-Migrations- und UN-Flüchtlingspakts wie auch der Reform der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention „mit dem Ziel der Anpassung an aktuelle Gegebenheiten seit 2015“. Für Kirchen besonders heikel: Das Kirchenasyl soll nach dem Willen der AfD schlicht abgeschafft werden.

Ebenso wenig Freude dürfte sowohl in synodalkirchlichen als auch papsthörigen Kreisen die Position zum Klimawandel auslösen: ein „komplexes Phänomen“, das es „zu allen Zeiten“ gab. Nachdem der Anteil des Menschen daran „wissenschaftlich ungeklärt“ sei, könne man darauf auch keine teure „sogenannte Energiewende“ aufbauen. Mithin gebe es „keinen Grund, die notwendige und sinnvolle Nutzung fossiler Energien (also Kohle, Erdgas, Erdöl) zu beschränken oder gar zu verbieten (z. B. Verbrenner-Verbot).“ Genauso wenig (Welt-)gemeinwohlorientiert sind letztlich auch die Ausführungen zur Außenpolitik. Die Entwicklungshilfe will die AfD angesichts der Haushaltslage deutlich reduzieren, der „wertebasierten Außenpolitik“ hält die Partei vor, den Ausbruch des größten Krieges in Europa seit 1945 nicht verhindert zu haben. Zwar versteht man sich wohlfeil als „Partei, in der Diplomatie und friedliche Konfliktbewältigung vorrangig sind“, will aber eine souveräne „Realpolitik in deutschem Interesse“, was auch explizit gemacht wird: „sofortige Aufhebung der Wirtschaftssanktionen gegen Russland sowie Instandsetzung der Nord Stream-Leitungen.“
Was ist also zu halten von der Programmatik der AfD? Der naheliegende Vergleich mit der CDU ergibt unter rein christlichen Gesichtspunkten auf der Habenseite ein ausführlicheres Bekenntnis zum Lebensschutz (wenigstens für ungeborene Kinder), dafür wirkt das Bekenntnis zum christlichen Erbe deutlich taktischer. Der Verkaufsschlager der Rechtspopulisten, die restriktive Haltung zu Asyl und Migration, ist nochmal härter als die der CDU – aus christlicher Perspektive kein Pluspunkt.

Die Axt an der Wurzel der Demokratie?

Zudem hat die AfD ein Alleinstellungsmerkmal: Die deutsche Bischofskonferenz hat in ihrer vielzitierten Erklärung zum „völkischen Nationalismus“ die Rechtspopulisten als „nicht wählbar“ bezeichnet. Wer der bischöflichen These von der notwendigen Verengung des Solidaritätsprinzips bei Annahme eines „kulturell homogen“ gedachten eigenen Volkes folgt, wird im vorliegenden Wahlprogramm Indizien für eine solche Volksidee finden, auch deutlicher, als im Parteiprogramm der Union, das sich bekanntermaßen ebenfalls auf eine „Leitkultur“ bezieht, letztlich ein verwandtes Konzept. Ob damit gleich die „Axt an die Wurzeln der Demokratie gelegt“ wird, sei dahingestellt – zumal die AfD für Demokratiefreunde von der wenigstens grundsätzlichen Verteidigung der Meinungsfreiheit bis hin zu Volksentscheiden (inklusive Gesetzesinitiativen) auf Bundesebene durchaus charmante Akzente im Angebot hat.

Neben der bischöflich beurkundeten Unwählbarkeit gibt es im Übrigen auch eine wissenschaftliche Befassung mit der AfD-Programmatik: Eine im vergangenen Jahr veröffentlichte Studie machte sich die Mühe, bestehende Programme der Rechtspopulisten auf Vereinbarkeit mit der katholischen Sozialethik zu überprüfen. Ergebnis war, dass die AfD-Positionen mit ihr „in vielen ethischen Grundfragen unvereinbar“ seien – wobei die Autoren ironischerweise in Bereichen, in denen doch Übereinstimmung festgestellt wurde, die katholische Lehre stellenweise gleich subtil mit kritisierten.

Dass beim Schreiben des Wahlprogrammes der Leibhaftige höchstselbst die Feder führte, ist unter dem Strich doch zweifelhaft – wenn, dann war er jedenfalls nicht sonderlich konsequent. Wobei auch nicht vergessen werden sollte, dass sich ein Großteil wenigstens derjenigen Kritik, die in den Rechtspopulisten eine Gefahr für die Demokratie erkennt, eher an Äußerungen ihrer Funktionäre entzündet, die bekanntlich teilweise sogar mit nationalsozialistischen Assoziationen spielen, als an der offiziellen Programmatik. Und daran wird sich auch mit dem Wahlprogramm 2025 nichts ändern.

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