Die Lage der Menschenrechte und der Religionsfreiheit hat sich in den Jahren 2022 und 2023 weiter verschlechtert. Dies dokumentieren und analysieren die soeben in Berlin veröffentlichten Jahrbücher „Religionsfreiheit“ sowie „Verfolgung und Diskriminierung von Christen“. Demnach haben religiöse Intoleranz, antichristliche und antisemitische Hassverbrechen und Gewaltaufrufe mitten in Europa Hochkonjunktur. Nach Juden sind Christen die am meisten angegriffene religiöse Gruppe.
Professor Thomas Schirrmacher, Generalsekretär der Weltweiten Evangelischen Allianz und federführender Herausgeber der Jahrbücher, erklärte bei der Vorstellung der Bücher: „Wer unsere jüdischen Mitbürger oder das Existenzrecht Israels in Frage stellt, dem muss der deutsche Staat entgegentreten!“ Weiter sagte Schirrmacher: „Schützen und Durchsetzen gehört zusammen. Wenn Häuser, in denen Juden leben, gekennzeichnet werden und auf unseren Straßen religiös motivierter Hass verbreitet wird, muss der Staat mit äußerster Entschiedenheit gegen die Täter vorgehen!“ Der mehrfach promovierte Gelehrte gehört zu den führenden Menschenrechtlern der Welt und ist Präsident des Internationalen Rates der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM)
Christenverfolgung in Indien, China und Nigeria groß
Die Jahrbücher, die seit 2013/2014 jährlich erscheinen, gehören zu den wichtigsten und umfangreichsten deutschsprachigen Publikationen zu diesem Thema. Sie werden herausgegeben für die Evangelischen Allianzen in Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie für das Internationale Institut für Religionsfreiheit und die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte.
Zu den Autoren des Jahrbuchs „Religionsfreiheit“ gehört der Beauftragte der Bundesregierung für Religions- und Weltanschauungsfreiheit, Frank Schwabe. Nach seinen Angaben sind Christen als größte Glaubensgemeinschaft weltweit besonders von der Verletzung der Religionsfreiheit betroffen. „Nirgends dürfen wir in unserem Einsatz nachlassen, wie aktuelle Beispiele etwa aus Indien, China oder Nigeria zeigen.“ Der Einsatz für Religionsfreiheit dürfe sich aber nicht nur auf große Religionsgemeinschaften erstrecken wie Christen und Muslime, wenn diese diskriminiert werden. So komme es darauf an, auch die Spiritualität der indigenen Völker als neues, wichtiges Thema der Religionsfreiheit zu sehen.
Im Nahen und Fernen Osten werden auch Agnostiker bedroht
Nach Angaben von Martin Lessenthin, Menschenrechtsexperte und Mitherausgeber des Jahrbuchs „Religionsfreiheit“, steige auch die Ausgrenzung und Verfolgung von Menschen, die sich zu keiner Religion bekennen oder ihre Abwendung von der Religion öffentlich machen würden, an. Die islamischen Republiken im Iran, in Afghanistan und Pakistan träten dabei besonders in Erscheinung. Markenzeichen deutscher Außenpolitik müsse immer verlässliches und engagiertes Eintreten für die Opfer von religiöser Diskriminierung und anderen Menschenrechtsverletzungen sein. Jeder politisch Verantwortliche, der mit Deutschland ins Gespräch kommen oder gute Wirtschaftsbeziehungen nutzen möchte, müsse wissen, dass er an seinem Eintreten für Glaubens- und Weltanschauungsfreiheit gemessen werde, betonte der Menschenrechtsexperte.
Der Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, Michael Brand, erklärte: „Wir stehen inmitten einer neuen Ära, in der die Verfolgung und teils Vernichtung von Andersgläubigen oder auch Nicht-Gläubigen von repressiven Akteuren immer massiver wird.“ Als Beispiel nannte er die Volksrepublik China. Weiter sagter Brand: „Auch für konservative religiös konnotierte traditionelle Familienwerte wird die Religionsfreiheit gern in Anschlag gebracht – oft mit polemischer Stoßrichtung gegen emanzipatorische Forderungen in Richtung Gender-Gerechtigkeit. Ideologisch tonangebend ist dabei Russland, das mit Rückendeckung der Russisch-Orthodoxen Kirche die Religionsfreiheit gleichsam zum Anti-Menschenrecht gegen eine vermeintlich dekadente Liberalität aufbauen möchte und damit den Universalismus der Menschenrechte im Ganzen bedroht.“
Autoritäre Regime deuten Religionsfreiheit um
Heiner Bielefeldt, Professor für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik an der Universität Erlangen-Nürnberg, wies darauf hin, dass autoritäre Regime die Religionsfreiheit für ihre Zwecke umdeuteten. Ein krasses Beispiel sei der Versuch von Staaten wie Pakistan, Ägypten, Russland oder Malaysia, „drakonischen Blasphemiegesetzen eine vordergründige menschenrechtssemantische Deckung zu verleihen“. Die Konsequenz sei, dass „eine ins Autoritäre verbogene Religionsfreiheit dabei systematisch zum Antipoden von Meinungsfreiheit, Kunstfreiheit und anderen diskursiven Freiheitsrechten gerät“.
Der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Volker Beck, betonte: „China ist aus einer Vielzahl von Gründen der Lackmustest darauf, ob religiöse Toleranz auf diesem Planeten eine Zukunft behält. Oder ob mit Verfolgung, auch Vernichtung von Andersdenkenden und Andersglaubenden, zuletzt mit militärischen Überfällen auf Länder mit anderen Grundwerten – wie dem Überfall der Diktatur Russland auf die Demokratie Ukraine – das uralte Kennzeichen der religiösen Verfolgung wieder stärker werden wird“. Beck bedauerte zugleich, bedauerte, dass es angesichts der Anfeindungen gegen jüdisches Leben an Unterstützung aus der Bevölkerung mangelt: „Die Solidarität auf den Straßen fällt eher ausbaufähig aus.“ DT/chp
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.