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Erkennt die Bundesregierung den Völkermord an?

Zwischen 1904 und 1908 beging das Kaiserreich in Namibia den ersten Völkermord des Jahrhunderts. In der Anerkennung windet sich die Bundesregierung bislang jedoch semantisch.
Erinnerung an den Völkermord an den Herero
Foto: Jürgen Bätz (dpa) | Eine Frau in der traditionellen Tracht des Volkes der Herero geht durch einen Friedhof für deutsche Soldaten. Die Herero waren zwischen 1904 und 1907 Opfer eines Völkermords durch deutsche Truppen.

Die Bundesregierung lässt sich Zeit. Sieben UN-Sonderberichterstatter hatten am 23. Februar einen Brief an die deutsche und die namibische Regierung geschickt. Beide Seiten hätten 60 Tage Zeit, um zu antworten, wobei die Mitteilung vertraulich blieb. Am 12. April bat die deutsche Regierung um eine Fristverlängerung bis zum 8. Mai, weil die rechtlichen Fragen die Zusammenarbeit mehrerer Ministerien erforderten. Dafür sei mehr Zeit nötig, hieß es in Berlin.

Am Montag lief die verlängerte Frist ab, nach der die Bundesregierung zu Kritik an der sogenannten „Gemeinsamen Erklärung“ mit Namibia Stellung nehmen sollte. Um einen Fristaufschub hatte auch die namibische Regierung gebeten. Das Thema werde aktuell intern besprochen, eine Antwort soll bis zum 31. Mai 2023 vorliegen.

Verantwortung für die Verbrechen übernehmen

Aus Sicht der Berichterstatter war die „direkte und effektive Beteiligung“ der Volksgruppen durch selbst gewählte Vertreter keine Frage des politischen Ermessens der beiden Regierungen. Sie sei völkerrechtlich garantiert und beispielsweise in der Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte indigener Völker verankert. Beide Regierungen seien verpflichtet, diese Beteiligungsrechte zu respektieren. Als Chefverhandler hatte die namibische Regierung den mittlerweile verstorbenen Zed Ngavirue bestimmt, einen erfahrenen Diplomaten und Herero. Für Deutschland hatte der CDU-Politiker Ruprecht Polenz verhandelt.

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Die Sonderberichterstatter forderten Berlin zudem auf, die Verantwortung für die „während der Kolonialherrschaft begangenen Verbrechen“ zu übernehmen. Die „Gemeinsame Erklärung“ enthalte keine wirksamen Wiedergutmachungsmaßnahmen und stelle nicht die notwendigen Mittel zur Versöhnung bereit. Es handle sich um „Wiederaufbau- und Entwicklungshilfeprogramme“. Sie werde dem „Ausmaß des Schadens, der den Opfern zugefügt wurde, nicht gerecht“.

Ferner kritisierten sie die strikte Geheimhaltung über die Verhandlungen. Eine der zentralen rechtlichen Fragen im Hinblick auf Reparationen ist, ob die Tötung größter Teile der Bevölkerung der Ovaherero und Nama, zunächst durch Vernichtungsfeldzüge, aber auch durch die spätere Errichtung von Konzentrationslagern, als Völkermord einzuordnen ist. Hochrangige Menschenrechtsvertreter wie die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte Michelle Bachelet bezeichnen diese Kolonialverbrechen schon lange eindeutig als Völkermord. 

„Gemeinsame Erklärung“ von Anfang an in der Kritik

Die deutsche Bundesregierung jedoch windet sich semantisch zwischen einer symbolischen „Geste der Anerkennung“ und einer Anerkennung des „Völkermordes aus heutiger Perspektive“. Dabei stand die „Gemeinsame Erklärung“ von Anfang an in der Kritik. Denn das 2021 unterzeichnete Abkommen wurde ohne Beteiligung der Herero und der Nama ausgehandelt. Es sieht keine völkerrechtlich bindende Anerkennung des Genozides und auch keine echten Reparationszahlungen vor. Stattdessen sollten ohnehin geplante Entwicklungsgelder in geringem Umfang aufgestockt werden.

Mit einer Menschenrechtsaktion am Montag vor dem Auswärtigen Amt hat machte die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) daher erneut auf die Forderungen der Betroffenen aufmerksam. Auf einem großformatigen Transparent, das den neu enthüllten Gedenkstein zur Erinnerung an den Völkermord am Ort des ehemaligen Konzentrationslagers auf Shark Island in Namibia zeigt, forderte die Menschenrechtsorganisation, den Völkermord endlich anzuerkennen und direkte Verhandlungen mit den Vertreterinnen und Vertretern der Herero und Nama. „Direkte Verhandlungen mit den anerkannten Verbänden der Herero und Nama, eine völkerrechtlich wirksame Anerkennung des Genozids und echte Reparationszahlungen – das haben die Betroffenen von Anfang an gefordert“, erinnerte GfbV-Direktor Roman Kühn am Rande der Veranstaltung in Berlin. „Noch von der Oppositionsbank aus hatten auch die Grünen solche Forderungen unterstützt. Jetzt, in der Regierungsverantwortung, haben sie die Gelegenheit und auch die Pflicht, es besser zu machen.“ Spätestens nach dem Bericht der UN-Sonderberichterstatter könne die Bundesregierung nicht mehr so tun, als wäre das Thema erledigt. Das Auswärtige Amt müsse die völkerrechtlichen Bedenken ernstnehmen und ausräumen, betonte Kühn.“

Zwischen 1904 und 1908 beging das deutsche Kaiserreich im heutigen Namibia den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts. Mindestens 65.000 Herero und 10.000 Nama kamen dabei ums Leben – das entspricht etwa 80 Prozent der Herero und 50 Prozent der Nama, die im damaligen Deutsch-Südwestafrika lebten.

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