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Emmanuel Macron legt die Axt an die Wurzeln der Zivilisation 

Die dreiste Umdeutung der Sterbehilfe als Brüderlichkeit kann nicht darüber hinwegtäuschen: Mit diesem Gesetz wird der Zugang zur Sterbehilfe leichter sein als der Zugang zu einer menschenwürdigen Palliativpflege.
Gegen Euthanasie
Foto: IMAGO/Vincent Isore (www.imago-images.de) | Der Präsident der Republik, Emmanuel Macron, will die Sterbehilfe in Frankreich legalisieren. Schon im vergangenen Jahr protestierten katholische Verbände gegen die umstrittenen Pläne.

Nun ist die Bombe geplatzt. Kontrolliert detoniert, müsste man sagen, denn Emmanuel Macron selbst hat das Format, ein Interview, und die Medien – die katholische „La Croix“ und die linke „Libération“ – gewählt, um das neue Sterbehilfegesetz vorzustellen. Hier ist kein Platz für Zufälle. Doch auch eine Lenkrakete hat das Potential zu weiträumiger Zerstörung. Und die ist garantiert.

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Denn die Einführung der aktiven Sterbehilfe ist ein massiver Bruch – ethisch, kulturell, anthropologisch und gesellschaftlich. Sie erschüttert das Fundament, auf dem die europäischen Gesellschaften gegründet sind. In dieser Hinsicht verzeichnet Frankreichs Präsident bereits eine beeindruckende Liste höchst zweifelhafter Fortschritte, deren vorläufiger Höhepunkt die Aufnahme der Abtreibung in die Verfassung darstellt. Das klingt eher nach der Axt im Walde der ethischen Grundpfeiler als nach dem vorsichtig Abwägenden, als den sich Emmanuel Macron selbst gerne darstellt.

Verkehrung ins Gegenteil

Vor dem Hintergrund früherer Äußerungen Macrons, der Empfehlung des Ethikrates und den Ergebnissen des Bürgerkonvents von 2023 ist der nun in Teilen bekannte Gesetzentwurf keine große Überraschung. Frappierend ist hingegen, mit welcher Unverfrorenheit der Präsident die Neuregelung, die auf die Tötung von schwachen und kranken Gliedern der Gesellschaft hinausläuft, als „Gesetz der Brüderlichkeit“ bezeichnet.

Den eigenen Bruder tötet man nicht. Begriffe wie „Hilfe“, „Pflege“ und „Begleitung“ werden in ihr Gegenteil verkehrt, wenn sie nicht mehr die liebevolle und sorgende Präsenz an der Seite des Kranken bezeichnen, sondern das Setzen der Giftspritze. Von den hässlichen Worten „Euthanasie“ und „assistierter Suizid“ will Emmanuel Macron nichts hören – doch genau darum geht es, wenn Patienten die Hilfe zur Selbsttötung und in einigen Fällen die Tötung durch eine andere Person beantragen können. 

Eine weitere Regelung lässt aufhorchen. Zwar kann die Beantragung der aktiven Strebehilfe nur durch die Person selbst erfolgen, die dazu volljährig sein und unter einer unheilbaren tödlichen Krankheit leiden muss. Wird der Antrag jedoch abgelehnt, kann auch ihre Familie dagegen Berufung einlegen. Warum das, wenn doch der Patient selbst sich im Vollbesitz ihrer Urteilskraft befinden muss, um die aktive Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen? Wird der Schutz des Kranken vor Einflussnahme von außen so wirklich gewährleistet? Letzterer ist natürlich ohnehin nur Illusion, denn jeder Mensch ist ein Knotenpunkt in einem subtilen Netz von Beziehungen. Das Einzige, was den Kranken wirklich davor schützt, in den Tod gedrängt zu werden, ist ein völliges Tötungsverbot, das auch die Hilfe zur Selbsttötung miteinschließt.

Ärzte und Pfleger wollen nicht

Klar ist nun auch: Wenn der Patient physisch nicht dazu in der Lage ist, sollen auch Ärzte und Krankenpfleger die Tötung auf Verlangen durchführen. Das wollen die meisten von ihnen aber nicht – sämtliche Umfragen der letzten zwei Jahre sind da deutlich. Die meisten Ärzte und Pfleger wollen weder die Tötung eines Menschen, noch die Bereitstellung der tödlichen Substanz als eine Pflegehandlung verstanden wissen. Doch genau als solche definiert das neue Gesetz beides. Zwar wird es zunächst dem Gewissen des einzelnen Arztes oder Pflegers vorbehalten sein, eine Tötung vorzunehmen oder nicht.

Dass Gewissensklauseln möglicherweise in Zukunft das Papier nicht mehr wert sind, auf dem sie geschrieben sind, zeigt der Fall der Abtreibung: Die französischen Kommunisten, deren Präsidentschaftskandidat vor zwei Jahren immerhin 20 Prozent erreichte, strengen ein Gesetzgebungsverfahren zur Streichung der allgemeinen Gewissensklausel für Ärzte an. 

A propos Abtreibung: Emmanuel Macron kann noch so oft betonen, dass die Inanspruchnahme der aktiven Sterbehilfe – in Form von assistiertem Suizid oder Euthanasie – an enge Bedingungen und die sorgfältige fachliche Prüfung geknüpft ist und kein neues „Recht“ kreiert. Er selbst hat noch vor wenigen Tagen die Aufnahme des neuen „Rechts“ auf Abtreibung in die Verfassung feierlich besiegelt. Auch dieses hatte vor wenigen Jahrzehnten als absolute Ausnahme in schweren Notsituationen begonnen.

Schlechte Palliativversorgung

Geradezu zynisch ist es, mit dem neuen Gesetz gleichzeitig die aktive Sterbehilfe zu regeln und die Palliativpflege stärken zu wollen, wartet doch das letzte Gesetz zur Palliativpflege von 2016 immer noch auf seine Umsetzung. Heißt: Lediglich jeder dritte Franzose, der Palliativsorge benötigen würde, erhält sie auch. Warum sollte sich das mit einem Gesetz ändern, das zusätzlich noch eine weitaus günstigere Lösung enthält? Alle Augenwischerei des Präsidenten kann nicht darüber hinwegtäuschen: Mit diesem Gesetz wird der Zugang zur Sterbehilfe leichter sein als der Zugang zu einer menschenwürdigen Palliativpflege.

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