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Eine neue Achse für Europa?

Polens Präsident Duda spricht im ukrainischen Parlament. Was sich zwischen den Nachbarländern derzeit abspielt mutet an wie eine Liebesgeschichte, die in Europa ihresgleichen sucht.
Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, und Andrzej Duda, Präsident von Polen
Foto: Efrem Lukatsky (AP) | Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, und Andrzej Duda, Präsident von Polen, geben sich während einer Pressekonferenz die Hand.

In den polnischen Medien war es am Sonntagabend das Thema der Stunde: Die Rede des polnischen Präsidenten Andrzej Duda im ukrainischen Parlament. Immer wieder wurden applaudierende Parlamentarier gezeigt, polnisch-ukrainische Flaggen, die innige Umarmung von Duda mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. 

„Die freie Welt hat das Gesicht der Ukraine“

In Ergänzung zu diesen ikonographischen Bildern wurden die rhetorischen Highlights der Rede des polnischen Präsidenten ausgestrahlt: „Die freie Welt hat das Gesicht der Ukraine“ oder „Polen wird alles in seiner Macht Stehende tun, um der Ukraine zu helfen, Mitglied der Europäischen Union zu werden.“ Worte, die es in sich haben – und die unterstreichen, wie sehr Putins Angriffskrieg die Tektonik Europas verändern könnte. 

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Denn: So freundschaftlich die Beziehungen zwischen Polen und der Ukraine in den vergangenen Jahren auch waren; das, was sich zwischen beiden Ländern in den vergangenen Monaten (also etwas mehr als 100 Jahre nach dem ukrainisch-polnischen Krieg!) entwickelt hat, mutet an wie eine Liebesgeschichte, die sich in Europa in ähnlicher Weise vielleicht nur zwischen Nachkriegsdeutschland und Frankreich abgespielt hat. Damals entstand daraus die für die Europäische Union so wichtige Achse Paris-Bonn/Berlin.

Wer weiß, welche Rolle die Achse Warschau-Kiew für das freie Europa noch spielen wird? Dass es für die alte Intermarium-Idee Marschall Józef Pilsudskis, also die Etablierung eines engen Zusammenschlusses der mittelosteuropäischen Länder zwischen Ostsee und Schwarzem Meer, in Polens nationalkonservativen Kreisen durchaus Sympathien gibt, ist kein Geheimnis. Dass man in der Ukraine genau beobachtet, welche europäischen Staaten wie und in welchem Grade solidarisch sind, erfährt man auf zum Teil recht schmerzvolle Weise in der Bundesrepublik, deren Kanzler gerade durch Afrika fliegt. 

Zwei Achsen, die sich nicht ausschließen müssen

Dabei müssten sich beide europäischen Achsen, die eher liberale des Westens und die auch national-orientierte des Ostens nicht unbedingt ausschließen. Hat doch der israelische Historiker und Militärexperte Yuval Noah Harari („Sapiens“) unmittelbar nach der russischen Invasion die Zusammengehörigkeit und Vereinbarkeit dieser westlichen Werte am Beispiel der Ukraine aufgezeigt. Tatsächlich verkörpern sowohl Selenskyj wie auch der manchmal überraschend liberal agierende Duda in persona einen solchen Mix. 

Insofern könnte die neue polnisch-ukrainische Freundschaft einen Modellcharakter für ganz Europa haben - speziell für die in jüngster Zeit allzu sehr mit Moskau-verschraubte und verzahnte Achse Paris-Berlin

Weitere Hintergründe zu Russlands Krieg gegen die Ukraine lesen Sie in der kommenden Ausgabe der "Tagespost".

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