Wirtschaftsinitiativen

Eine Region mit großer Zukunft

Der Traum stammt noch aus der Vorkriegszeit: Ein enger ökonomischer Zusammenschluss zwischen Mittel- und Osteuropa. Ein Schritt in diese Richtung war die Gründung der „Drei-Meeres-Initiative“ im Jahr 2015.
Drei-Meeres-Initiative in Bukarest
Foto: dpa | 2018 fand die große Konferenz der Drei-Meeres-Initiative in Bukarest statt. Hier spricht gerade der rumänische Staatspräsident Klaus Johannis (Mitte). Damals ging es um eine gemeinsame Energiepolitik.

Dem Trimarium, wie diese Region genannt wird, kommt vor allem in der aktuellen geopolitischen Situation einebesondere Bedeutung zu. Eine Konkurrenz zur EU will die Initiative, der dreizehn Staaten vom Baltikum bis Kroatien und Bulgarien angehören, nicht sein.

Genau hundert Jahre ist es her, da konstatierte Richard Coudenhove-Kalergi in seiner Programmschrift „Pan-Europa“, dass durch „den Zusammenbruch der drei letzten europäischen Kaiserreiche die unterdrückten Ostvölker“ frei geworden seien. Die „nationale Revolution Osteuropas“ stelle eine „entscheidende Etappe auf dem Wege nach Pan-Europa“ dar. Durch sie habe Europa eine „einheitliche Physiognomie auf der Grundlage des Nationalstaates und der Demokratie“ erhalten und den Gegensatz zwischen Herren- und Sklavenvölkern, zwischen West- und Osteuropa überwunden. Coudenhove-Kalergi forderte ganz Europa zur Abkehr von jeglichem Imperialismus, Chauvinismus und Revanchismus auf. Später wurde sein Satz „Wenn nicht vorher die Vernunft es schafft – wird die Not Pan-Europa schaffen“ Wirklichkeit, nachdem zuvor der vernichtende Zukunftskrieg gewütet hatte, vor dem er so gewarnt hatte. In Pan-Europa sah Coudenhove-Kalergi nicht nur eine ökonomische Notwendigkeit zur Erhaltung der Konkurrenzfähigkeit, sondern auch das einzige Mittel gegen eine russische Invasion – die der jungen Unabhängigkeit der Länder Ost- und Mitteleuropas dann auch tatsächlich ein Ende setzte. Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs und der EU-Osterweiterung wurde diese zwar wiedergewonnen, aber wirtschaftlich und politisch auf Augenhöhe waren und sind Ost und West noch nicht.

Adler, Löwe und Kreuz

Die „Drei-Meeres-Initiative“ (3SI) soll das ändern. Namentlich knüpft sie an das Intermarium („Międzymorze“) an – jener Vision des polnischen Nationalhelden und Staatsgründers Józef Piłsudski eines Staatenbunds zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer, der aber nicht zuletzt aufgrund des Verdachts einer versuchten Vormachtstellung Polens beargwöhnt wurde.

80 Jahre nach der Veröffentlichung von „Pan-Europa“ im Jahr 2023 legte der polnische Historiker Wojciech Roszkowski mit seiner bislang nur auf Polnisch erhältlichen Publikation „Adler, Löwe und Kreuz: Die Geschichte der Länder des Trimariums“ das geistige Fundament für die politische und ökonomische Vereinigung Ost- und Mitteleuropas – und damit die Emanzipation von der Vormachtstellung der westlichen EU-Länder. Die Gemeinsamkeiten dieser sprachlich, historisch und kulturell ungemein vielfältigen Region zwischen den Meeren macht Roszkowski in ihrer wirtschaftlicher Rückständigkeit – infolge verspäteter Industrialisierung und sozialistischer Misswirtschaft – sowie angesichts einer historischen Konstante aus, der gemeinsamen ständigen Bedrohung durch imperialistische Großmächte. Ebenso betont Roszkowski, dass die Staaten historische Wunden und Rachereflexe hinter sich lassen, bestehende Grenzen akzeptiert und regionale Identitäten gestärkt werden müssen, wenn das Ziel „Trimarium“ („Trójmorze“) Realität werden soll. Zusammengefasst fordert er einen selbstbestimmten und bewussten Vollzug der formell bereits erfolgten Europäisierung Ost- und Mitteleuropas auf politischer, kultureller und wirtschaftlicher Ebene unter Einbezug der Ukraine, Moldawiens und auch Belarus, sollte es sich von Moskau abnabeln. Soweit die theoretische Idee.

In diesem Sinne ist aber auch das Programm der „Drei-Meeres-Initiative“ ganz praktisch konzipiert worden. Es zielt vor allem auf eine Optimierung der gemeinsamen Infrastrukturen, also der Energiewirtschaft, des Transportsystems, der Datensicherheit und der digitalen Vernetzung, aber auch ein Investitionsfonds kann genutzt werden, der zur Steigerung des Wachstums beitragen und Innovationspotenziale erhöhen soll. Langfristig soll ein Prozess der infrastrukturellen Vernetzung einsetzen, der im Westen Europas bereits erfolgt ist.

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Auch die Ukraine ist Partner der Initiative

Zu der 2015 ins Leben gerufenen Drei-Meeres-Initiative gehören neben den beiden Gründerländern Kroatien und Polen die baltischen Staaten, Tschechien, die Slowakei und Slowenien sowie Bulgarien, Rumänien, Ungarn und Österreich. Als Beobachterstaaten nehmen Deutschland und die USA, die das Projekt besonders finanziell unterstützen, an den 3SI-Konferenzen teil. Infolge des russischen Angriffskrieges wurde 2022 zudem der Ukraine der Status des teilnehmenden Partners anerkannt, der, wie der polnische Präsident Andrzej Duda betont, „über eine strategische Partnerschaft hinausgeht“. Wie Präsident Wolodymyr Selenskyj erläutert hat, erhofft das Land sich damit eine Intensivierung der Zusammenarbeit im Energiesektor sowie eine Integration in das transnationale Straßennetz Via Carpathia und das europäische Eisenbahnnetz.

Finnland und Schweden könnten mitmachen

Überhaupt habe der Überfall auf die Ukraine die Notwendigkeit der Drei-Meeres-Initiative – unter anderem im Hinblick auf plötzlich deutlich zutage tretende Transport- und Energieprobleme – noch einmal bestärkt, so der Tenor der Ländervertreter auf der letzten Konferenz in Riga. Besonders die nötige Diversifizierung der Energiepolitik mittels eines gemeinsamen Energieversorgungssystems und der Bau von Flüssiggas-Terminals zwecks besserer Importmöglichkeiten war schon vor dem Krieg ein Anliegen, jetzt ist es zum zentralen Ziel der 3SI-Länder geworden. Neben den im Vordergrund stehenden ökonomischen Zielen dient die Drei-Meeres-Initiative aber auch dezidiert dazu, die politische Zusammenarbeit der Teilnehmerländer und so die innereuropäische Zusammenarbeit zu stärken. Zudem sollen transatlantische Bande gefördert werden.

Dabei will die 3SI keineswegs eine parallel zur EU verlaufenden Gegen-Union sein, sondern vielmehr eine komplementäre Rolle einnehmen, wie auch von ihren Gegnern oft in Frontstellung zu Brüssel positionierte polnische Regierungsvertreter stets betonen. Gleichsam ist man sich der möglichen politischen Wirkungskraft bewusst, die ein breites Bündnis – gegebenenfalls auch unter Einbezug Finnlands und Schwedens – politisch und ökonomisch ähnlich gesinnter Länder entfalten könnte, wie der polnische Botschafter in Estland im Gespräch mit dem polnischen öffentlich-rechtlichen Auslandssender „TVP World“ erklärte. Für einen innereuropäischen Kräfteausgleich und die Förderung von Grenzinfrastrukturen warb auch der neue tschechische Präsident und Ex-NATO-General Petr Pavel bei seinem Besuch in Polen. Ist Europas Ost-West-Gefälle also auf dem besten Wege, endlich überwunden zu werden? Der Anspruch seitens der Drei-Meeres-Initiative ist zweifelsohne da – und der russische Krieg verleiht dieser Vision, da die Welt so gebannt wie seit Jahrzehnten nicht mehr auf Mittel- und Osteuropa schaut und die sicherheitspolitische Bedeutung der Region auf strategischer und rüstungswirtschaftlicher Ebene steigt, das nötige Momentum.

Differenzierte Betrachtung der Handelsbeziehungen

Der Visegrad-Forscher Łukasz Lewkowicz vom Mitteleuropa-Institut der Maria-Curie-Skłodowska-Universität in Lublin betont jedoch gegenüber der „Tagespost“, dass die Handelsbeziehungen der an der

Initiative beteiligten Länder differenziert zu betrachten seien. So sei nicht nur der Anteil der 3SI-Länder an ihrem jeweiligen Gesamthandel, sondern auch der Anteil der Direktinvestitionen aus den 3SI-Ländern an den Gesamtinvestitionen in den jeweiligen Ländern – bis auf Kroatien, Slowenien und die Slowakei – zuletzt noch eher niedrig gewesen. Deutschland sei nach wie vor der wichtigste Handelspartner der 3SI-Länder, erklärt Lewkowicz. Der russische Überfall auf die Ukraine, die gestiegenen Preise für Energie, aber auch Produkte und Dienstleistungen in der Region würden sich zudem negativ auf die wirtschaftliche Entwicklung der 3SI-Länder und die Bereitschaft zu Direktinvestitionen in ihnen auswirken. Eine weitere Herausforderung sei der unterschiedliche Grad des Engagements der einzelnen Länder als gegenseitige Handelspartner, aber auch innerhalb der Initiative selbst.

Mehr Institutionalisierung wäre nötig

Die Kooperation der Staaten in der Region könnten Gründerförderprogramme für regionale Mittelständler und Start-ups stärken, so Lewkowicz.. Ebenso sollten Innovationsförderung sowie grenzüberschreitende Infrastrukturprojekte geschaffen werden. Ein gemeinsames Sekretariat könnte zudem zu einer Institutionalisierung beitragen und Gipfeltreffen erleichtern.

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