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Die Zukunft der Abtreibungspille bleibt ungewiss

Gestern verhandelte der Oberste Gerichtshof der USA erstmals den Fall „Food und Drug Administration v. Alliance for Hippocratic Medicine. Eine Analyse.
Demonstrationen
Foto: IMAGO/Sue Dorfman (www.imago-images.de) | Während der Anhörung vor dem Supreme Court in Washington D.C. kam es zu Demonstrationen von Gegnern und Befürwortern der Einschränkung des Zugangs zur Abtreibungspille „Mifeprex“.

Der Oberste Gerichtshof der USA hat sich gestern erstmals selbst mit der Frage befasst, ob der Zugang zur Abtreibungspille „Mifeprex“ eingeschränkt werden muss. Laut Angaben der US-Regierung werden in dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten inzwischen rund 60 Prozent aller vorgenommenen vorgeburtlichen Kindstötungen mittels der Abtreibungspille durchgeführt. In der fast zwei Stunden dauernden mündlichen Verhandlung des Falls „Food und Drug Administration v. Alliance for Hippocratic Medicine“ grillten die Höchstrichter die Anwälte beider Parteien geradezu mit ihren Fragen.

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US-amerikanische Leitmedien, die heute über die Anhörung berichteten, wollen dabei eine besondere Skepsis der Richter gegenüber der Argumentation der „Alliance for Hippocratic Medicine“ ausgemacht haben, die von einer Anwältin der Menschenrechtsorganisation „Alliance Defending Freedom“ (ADF) vertreten wurde. Eine Einschätzung, für die zwar tatsächlich manches, aber keineswegs alles spricht. Denn reichlich Skepsis ließen die Höchstrichter auch gegenüber der Generalstaatsanwältin erkennen, die die Regierung in den Ring stieg. Die komplette mündliche Verhandlung kann mittlerweile auf dem Internetportal des US-Supreme Courts als Tonmitschnitt angehört sowie als Abschrift (115 Seiten DIN A4) eingesehen werden.

Der Audiomitschnitt des Supreme Court: 

Video

Der Hintergrund: Drei Urteile, zwei Ergebnisse – und alle gegen die Regierungsbehörde

„Mifeprex“, das den Wirkstoff „Mifepriston“ enthält und in Deutschland unter dem Handelsnamen „Mifegyne“ vertrieben wird, wurde in den Vereinigten Staaten im Jahr 2000 zugelassen. 2016 hatte die US-amerikanische Zulassungsbehörde, die „Food und Drug Administration“ (FDA), die Zulassung des Präparats zur Durchführung vorgeburtlicher Kindstötungen von der siebten Schwangerschaftswoche auf die zehnte ausgeweitet und zugleich die Zahl der erforderlichen Arztbesuche von drei auf einen reduziert. Außerdem genehmigte die FDA die Verschreibung des Präparats durch „Nicht-Ärzte“ und hob die Pflicht zur Berichterstattung über „nicht-tödliche Zwischenfälle“ auf. 2021 erlaubte die FDA dann die Zustellung der Abtreibungspille auf dem Postweg. Anfang 2023 hob sie schließlich die verpflichtende persönliche Vorstellung der Schwangeren bei einem Arzt ganz auf.

2019 wies die „Alliance for Hippocratic Medicine“ die FDA in einer Petition auf die Folgen ihrer Entscheidungen hin. Als diese so hochmütig wie abschiedig beschieden wurde, entschieden sich die Ärzteorganisationen vor Gericht zu gehen. Im vergangenen Jahr kamen zunächst sowohl ein Bundesrichter aus Texas als auch ein anschließend von der Regierung Biden angerufenes Berufungsgericht zu dem Schluss, dass den Ärzteorganisationen durch den Wegfall der Schutzvorschriften ein Schaden entstanden sei, was sie berechtige, Klage zu führen. Denn seit 2016 würden deren Mitglieder vermehrt gezwungen, Frauen notfallmäßig zu versorgen, bei denen die Einnahme der Abtreibungspille zu schweren Komplikationen geführt habe. Dazu zählten nicht nur Bluttransfusionen und Intensivpflege, sondern „häufig“ auch chirurgische Eingriffe, um misslungene chemische Abtreibungen zu vollenden. Da die ungewollt Schwangeren, die bei den Ärzten nach dem Gebrauch der Pille vorstellig werden, ohne eine fachgerechte Ausschabung der Gebärmutter Gefahr liefen, an einer Infektion oder gar Sepsis zu versterben, stünden Abtreibungen ablehnende Ärzte in solchen Fällen vor einem Dilemma. Vollendeten sie die versuchte Abtreibung, verstießen sie gegen ihr Gewissen; verweigerten sie der Notfallpatientin die fachgerechte Behandlung, handelten sie ebenfalls gegen ihr Gewissen. Anders als der texanische Bundesrichter Matthew Kacsmaryk war das Berufungsgericht jedoch der Meinung das von der Firma „Danco Laboratories“ hergestellte Präparat könne aufgrund von Verjährungsfristen, die Kacsmaryk nicht beachtet habe, nicht vom Markt genommen werden. Die Richter des Berufsgerichts ordneten jedoch an, die FDA müsse bei dessen Abgabe und Vertrieb zu den Auflagen zurückkehren, welche die Behörde selbst vor dem Jahr 2016 erlassen hatte. Daraufhin rief die Regierung Biden den US-Supreme Court an. Der setzte die beiden Urteile bis zu einer endgültigen Entscheidung aus und verwies den Fall erneut an das zuständige Berufungsgericht des fünften Bezirks mit Sitz in New Orleans.

Hatte das Gericht in seinem ersten Urteil vor allem zu prüfen, ob der texanische Bundesrichter die für eine Urteilsfindung notwendigen Fakten angemessen berücksichtigt habe, entschied es in neuer Besetzung und nach mündlicher Anhörung beider Parteien auch in der Sache. Im Ergebnis kamen die neuen Richter dabei zu demselben Urteil wie ihre Kollegen zuvor. Demnach hob die FDA in den Jahren 2016 und 2021 zu Unrecht mehrere wichtige, von ihr selbst zuvor erlassene Schutzmaßnahmen zur Abgabe und zum Gebrauch des Präparats auf und verstieß damit gleich mehrfach gegen den „Administrative Procedure Act“ (APA). Der APA regelt nicht nur, wie Verwaltungsbehörden der US-Regierung Vorschriften festlegen können, sondern schreibt zudem vor, dass die US-Bundesgerichte befugt sind, Maßnahmen der Behörden aufzuheben, wenn sie diese für „willkürlich“ oder „rechtswidrig“ erachten, oder Erkenntnisse für den Missbrauch von Ermessenspielräumen besitzen. Weil die Regierung Biden auch dagegen klagte, muss nun der US-Supreme Court entscheiden.

Was die Höchstrichter nun zu entscheiden haben

Da die Regierung Biden und die FDA sich auf den Standpunkt stellen, dass den Mitgliedern der Ärzteorganisationen kein Schaden entstanden sei und sie daher auch nicht klageberechtigt seien, werden die Höchstrichter zunächst diese Frage zu entscheiden haben. In der gestrigen Anhörung räumten die Richter ihr daher breiten Raum ein. Dabei wich die ansonsten sehr eloquente Generalstaatsanwältin Elizabeth Prelogar, die die FDA vertrat, mehrfach den Fragen der Richter aus und argumentierte, die Mitglieder der Ärzteorganisationen „verschreiben kein Mifepriston. Sie nehmen kein Mifepriston ein“ und ständen daher „weit entfernt von der Regulierungsmaßnahme, die sie anfechten.“ Auf die Frage von Richter Samuel Alito, wer denn ihrer Ansicht nach überhaupt berechtigt sein, Klage gegen eine Entscheidung der FDA zu führen, blieb Prelogar die Antwort schuldig. Alle ihr von den Richtern angebotenen Möglichkeiten, darunter die eines US-Bundesstaates, verneinte die Generalstaatanwältin. 

Geradezu zynisch wurde es, als Prelogar zwar einräumte, „dass in einigen Studien“ zwar eine Zunahme von Frauen verzeichnet werde, die nach Einnahme von Mifeprex die Notaufnahme aufsuchten, dass dies aber nicht bedeute, dass auch die „schwerwiegende unterwünschte Ereignisse“ im selben Umfang zunähmen. Was insofern nicht zu verwundern braucht, als a) die FDA, wie Prelogar in der Anhörung auf Frage der Richterin Sonia Sotomayor bestätigt, festlegt, was als ein solches Ereignis gilt und b), wie oben bereits erwähnt, die Behörde 2016 die Pflicht zur Berichterstattung über „nicht-tödliche Zwischenfälle“ aufgehoben hatte. Auch gebe es, so Prelogar weiter, kein Bundesgesetz, das Ärzte verpflichte, gegen ihr Gewissen zu handeln. Zur Untermauerung der Behauptung, dass dies auch nicht vorkäme, berief sie sich auf „eine Studie“, der zufolge die Hälfte der Frauen in der Notaufnahme ohne Behandlung geblieben seien.

Ein Urteil wird erst in einigen Monaten erwartet

Weit weniger eloquent als Generalstaatsanwältin Prelogar agierte die ADF-Anwältin Erin Hawley. Die hatte sich offensichtlich vorgenommen, die FDA mit ihren eigenen Daten zu schlagen. Weil die Höchstrichter sich für diese aber nur wenig bis gar nicht interessierten, schien sie zeitweise ins Schlingern zu geraten. Mehrere Richter nahmen auch sie hart ran. So konfrontierte etwas Richterin Ketanji Brown Jackson Hawley mit der Einschätzung, es gebe eine „erhebliche Diskrepanz“ zwischen dem „Schaden“, den ihre Klinten behaupten, erlitten zu haben, und ihrer „Klage, die darauf abzielt den Zugang“ zu dem Präparat „für alle zu verhindern“. Richterin Amy Cony Barrett zog sogar in Zweifel, dass die Ärzte die behaupteten Schäden tatsächlich erlitten hätten. „Die Schwierigkeit hier ist, dass sich diese eidestaatlichen Erklärungen, zumindest für mich, so lesen, dass sich der Gewissensvorbehalt strikt gegen die tatsächliche Teilnahme an der Abtreibung zur Beendigung des Lebens des Embryos oder Fötus richtet“. Sie interpretiere die Aussagen der Ärzte nicht so, „als hätten sie jemals daran teilgenommen“, so Barrett weiter.

Träfe dies zu, würde das der FDA gewaltig in die Karten spielen. Anderseits dürfte es den Höchstrichtern auch nicht schmecken, dass die FDA auf dem Standpunkt steht, unter Berufung auf „die Wissenschaft“ unantastbare Entscheidung treffen zu können, die das Leben von Hundertausenden US-Amerikanern regulieren. Eine solche, letztlich unbegrenzte Macht würde auch dem Prinzip der Gewaltenteilung massiv widersprechen. „Ihr Argument“ sei, brachte es Richter Alito provokant, aber durchaus zutreffend während der Anhörung auf den Punkt, „dass es keine Rolle spielt, ob die FDA in eklatanter Weise gegen das Gesetz verstoßen hat, ob sie nicht getan hat, was sie hätte tun sollen, ob sie die Gesundheit von Frauen gefährdet hat, und dass es einfach zu schade ist, dass niemand vor Gericht klagen kann“. Es bleibt also spannend. Mit einem Urteil des Supreme Courts wird Ende Juni, Anfang Juli gerechnet.

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