Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Rechtsstreit um Abtreibungspille

Ideologie statt Wissenschaft

Die Administration von US-Präsident Joe Biden hat im Streit um die Verordnung und den Vertrieb der Abtreibungspille „Mifeprex“ den Obersten Gerichtshof der USA angerufen. Der soll nun klären, ob Richter die Einschätzung einer Arzneimittelbehörde bewerten und gegebenenfalls aufheben dürfen.
Amerikanische Flagge, April 15, 2023, WASHINGTON, D.C.,USA
Foto: IMAGO/Stephen Shaver (www.imago-images.de) | US-Supreme Court entscheidet jetzt über eine Dinglichkeitsklage, die die Biden-Administration eingereicht hat.

Es ist ein Dokument des Schreckens. Ob auch eines heilsamen, das muss sich erst noch zeigen. Immerhin, der Anfang ist gemacht. Datiert auf den 12. April 2023 trägt es das Aktenzeichen „No. 23-10362“. Verfasst haben es drei Richter des US-Berufungsgerichts des fünften Bezirks mit Sitz in New Orleans. Der „United States Court of Appeals for the Fifth Circuit“, wie das Gericht eigentlich heißt, ist eines von zwölf Berufungsgerichten in den USA. Sein Zuständigkeitsbereich umfasst die Bundesstaaten Louisiana, Mississippi und Texas. Aufgabe der Berufungsgerichte ist es, Urteile der untergeordneten Gerichte darauf zu überprüfen, ob sie bei der Urteilsfindung sämtliche in Frage kommenden rechtlichen Bestimmungen vollumfänglich berücksichtigt haben. Und genau eine solche Prüfung beantragte Anfang vergangener Woche die Administration von US-Präsident Joe Biden.

Zulassung richterlich gestoppt

Der Grund: Sowohl Biden als auch US-Vizepräsidentin Kamala Harris wollten sich nicht damit abfinden, dass ein Bundesrichter aus Texas am Karfreitag einer Klage mehrerer Ärzte-Vereinigungen stattgegeben und die Zulassung der Abtreibungspille „Mifeprex“ per einstweiliger Verfügung aufgehoben hatte. Mit dem im Jahr 2000 von der zuständigen Arzneimittelbehörde, der „Food and Drug Administration“ (FDA), zugelassenen Präparat werden in den USA mehr als die Hälfte aller vorgeburtlichen Kindstötungen durchgeführt. In Deutschland wird die Pille unter dem Handelsnamen „Mifegyne“ vertrieben.

Die Biden-Administration kündigte an, Berufung gegen das Urteil einzulegen und beantragte bei dem Berufungsgericht die Aussetzung der einstweiligen Verfügung. Doch die Entscheidung des Gerichts fiel anders aus: In dem lesenswerten Urteil entschieden die Richter Catharina Hayes, Kurt Engelhardt und Andrew Oldham, dass das im Jahr 2000 zugelassene Präparat aufgrund von Verjährungsfristen, die der texanische Bundesrichter Matthew Kacsmaryk nicht beachtet habe, zwar nicht vom Markt genommen werden könne, ordnete aber eine Rückkehr zu den vor 2016 von der FDA erlassenen Regeln für deren Abgabe und Vertrieb an. Demnach dürfe Mifeprex nicht mehr per Post versandt werden. Auch dürfe der Einsatz der Pille nur bis zur 7. Schwangerschaftswoche und nicht wie zuletzt bis zur 10. Schwangerschaftswoche erfolgen.

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Jetzt ist der US-Supreme Court gefragt

Ob es dabei bleibt, wird voraussichtlich nun der US-Supreme Court entscheiden, bei dem die Biden-Administration inzwischen eine Dringlichkeitsklage einreichte. Vergangenen Freitag verlängerte der beim Obersten Gerichtshof für den fünften Bezirk zuständige Richter, Samuel Alito, die Frist für den Aufschub des Urteils auf Mittwoch 23:59. Ursprünglich hätten die von dem Berufungsgericht bestätigten Teile des Urteils Kacsmaryks vergangenen Samstag in Kraft treten sollen. Sollte der Oberste Gerichtshof sich der Sache annehmen, wird er nicht umhinkommen, das 42-seitige Urteil zur Kenntnis zu nehmen, in dem die von Präsident Biden, Vizepräsidentin Harris und sämtlichen involvierten US-Behörden gebetsmühlenhaft wiederholte Behauptung, das Präparat sei „sicher und wirksam“, der Lüge überführt wird.

Wie die Richter in dem Urteil schreiben, könne die FDA „nicht leugnen“, dass Frauen durch den Wirkstoff Mifepriston „schwerwiegende Komplikationen … mit Sicherheit drohen“. Diese Komplikationen seien „in dem von der FDA selbst genehmigten ,Patient Agreement Form‘ aufgeführt“, einer Einverständniserklärung, die der Hersteller „Danco Laboratories“ „von jeder Mifepriston-Anwenderin zu unterzeichnen“ verlange. Nach Angaben der Beschwerdeführer, neben der FDA sind dies das US-Gesundheitsministerium und der Mifeprex-Hersteller „Danco Laboratories“, die im Urteil „Antragsteller“ genannt werden, hätten seit der Zulassung im Jahr 2000 mehr als fünf Millionen Frauen das Präparat eingenommen. „Das bedeutet“, so die Richter weiter, „dass – wiederum nach eigenen Angaben der Antragsteller – zwischen 100.000 (2 %) und 350.000 (7 %) der Mifepriston-Anwenderinnen erfolglose chemische Schwangerschaftsabbrüche hatten und mit ihrem Anbieter über einen chirurgischen Eingriff zur Beendigung der Schwangerschaft sprechen mussten‘.“

Medikamente mit schwerwiegenden Sicherheitsbedenken

Zum Hintergrund: Zwischen 2000 und heute hat die FDA ihre ursprüngliche REMS (Risk Evaluation and Mitigation Strategy) mehrfach gravierend verändert und dabei jedes Mal weiter abgeschwächt. Laut der FDA handelt es sich bei den REMS um eine „Risikobewertungs- und -minderungsstrategie“, das die FDA „für bestimmte Medikamente mit schwerwiegenden Sicherheitsbedenken vorschreiben kann, um sicherzustellen, dass der Nutzen des Medikaments seine Risiken überwiegt.“ „REMS“ sollen, so die FDA weiter, „das Verhalten bei der Einnahme von Medikamenten und die Maßnahmen, die die sichere Anwendung des Medikaments unterstützen, verstärken.“ Während alle Medikamente mit einer Kennzeichnung versehen seien, „die die Akteure des Gesundheitswesens über die Risiken der Medikamente informiert“, seien REMS „nur für einige wenige Medikamente erforderlich.“

In ihrem Urteil geht es den drei Richtern des Berufungsgerichts nicht um die Bewertung vorgeburtlicher Kindstötungen, sondern um die Frage, ob die Ärzte-Vereinigungen, die im November 2022 die Klage in Texas angestrengt hatten, überhaupt klageberechtigt gewesen seien, was die Biden Administration vehement bestreitet. Tatsache ist jedoch, dass die Mitglieder der Ärzte-Vereinigungen, darunter solche, die vorgeburtliche Kindstötungen aus Gewissensgründen ablehnen, in Krankenhäusern und Praxen Patientinnen, die die Abtreibungspille einnahmen, notfallmäßig versorgt haben. Nach Auffassung des Gerichts erleiden sie dadurch einen Schaden, der durch die mehrfache Änderung der REMS in der Vergangenheit weiter verstärkt und ausgeweitet wurde. Nach Ansicht des Gerichts berechtige dies die Ärzte, Klage zu führen.

Auch die Mutter kann sterben

„Mifepriston-Anwenderinnen, die sich bei den Klägern vorstellen“, haben, so die Richter, „Bluttransfusionen, Krankenhausaufenthalte über Nacht, Intensivpflege und sogar chirurgische Schwangerschaftsabbrüche benötigt.“ Zur Untermauerung dieses Befunds zitieren die Richter in ihrem Urteil aus hunderten von Ärzten an Eides statt erklärten Fallbeschreibungen. Mal ausführlich, mal paraphrasiert. Für die Richter machen die Schilderungen der Ärzte vor allem eines deutlich: Die Abtreibungspille ist nicht nur tödlich für das ungeborene Kind, sie kann auch die Mutter das Leben kosten, wenn sie im Falle eines Falles nicht rechtzeitig notfallmäßig versorgt wird.

Ausführlich zitieren die Richter einen Arzt, der an Eides statt erklärte: „Eine meiner Patientinnen hatte Mifepriston und Misoprostol von einer Website bezogen, ohne dass sie persönlich vorstellig geworden war. ...  Nachdem sie die chemischen Abtreibungsmittel eingenommen hatte, begann sie mit sehr starken Blutungen, gefolgt von erheblichen Bauchschmerzen und Fieber. Als ich sie in der Notaufnahme aufsuchte, hatte sie Anzeichen von zurückgebliebenem Schwangerschaftsgewebe zusammen mit Endometritis, einer Infektion der Gebärmutterschleimhaut. Außerdem hatte sie eine akute Nierenschädigung mit erhöhtem Kreatinin. Sie benötigte eine Dilatations- und Kürettage-Operation, um die Entfernung des restlichen Schwangerschaftsgewebes aus ihrer Gebärmutter abzuschließen, und einen Krankenhausaufenthalt für intravenöse Antibiotika, intravenöse Flüssigkeitszufuhr und eine Bluttransfusion. Ich verbrachte am Tag der Operation/Krankenhauseinweisung mehrere Stunden mit ihr, was mich von meinen primären Aufgaben in der Entbindungsstation abhielt und dazu führte, dass ich einen zusätzlichen Arzt hinzuziehen musste, um diese Aufgaben zu übernehmen.“

Hohes Blutungsrisikio

Wie die Richter schreiben, sei „das Risiko schwerer Blutungen bei einer chemischen Abtreibung fünfmal höher als bei einer chirurgischen Abtreibung“ und könne sich „schnell verschlimmern“. Zur Untermauerung führen sie die Fallbeschreibung eines Arztes an, der aussagte: „Eine meiner Patientinnen, die etwa neun Wochen schwanger war, war zuvor vom Krankenhauspersonal wegen einer Lungenembolie mit gerinnungshemmenden Mitteln behandelt worden. Man riet ihr, keine chemische Abtreibung vorzunehmen, da dies aufgrund der Medikamente kontraindiziert sei; dennoch verließ die Frau das Krankenhaus und ließ bei Planned Parenthood of Indiana eine Abtreibung vornehmen. Der Arzt von Planned Parenthood gab der Frau Mifepriston. Die Frau rief einen Uber [ein Taxiunternehmen] an, um sich von Planned Parenthood nach Hause fahren zu lassen. Bei der Frau traten Blutungen und andere unerwünschte Wirkungen von Mifepriston auf. Der Uber-Fahrer brachte die Frau nicht nach Hause, … sondern in die Notaufnahme des Krankenhauses. Im Krankenhaus wurde die Frau von mir betreut. Das zweite Abtreibungsmittel, Misoprostol, hatte die Frau noch nicht eingenommen. Ich behandelte die Patientin wegen der unerwünschten Wirkungen, die sie erlitt, und riet ihr, das Misoprostol, das ihr von Planned Parenthood ausgehändigt worden war, nicht einzunehmen, da die Gefahr groß sei, dass sie verbluten und sterben könnte.“

Immer mehr Frauen mit Komplikationen

Wie die Richter weiter ausführen, habe die FDA 2016 die Zulassung des Präparats für die Durchführung einer vorgeburtlichen Kindstötung von der siebten Schwangerschaftswoche auf die zehnte ausgeweitet und zugleich die Zahl der erforderlichen Arztbesuche von drei auf einen reduziert. Außerdem habe sie die Verschreibung des Präparats durch „Nicht-Ärzte“ genehmigt und die Pflicht zur Berichterstattung über „nicht tödliche Zwischenfälle“ aufgehoben. 2021 habe die FDA die Zustellung der Abtreibungspille auf dem Postweg erlaubt und Anfang 2023 die verpflichtende persönliche Vorstellung der Schwangeren bei einem Arzt ganz aufgehoben.

Wie das Gericht erklärt, sagten „mehrere Ärzte aus, dass immer mehr Frauen mit Komplikationen … in die Notaufnahme kommen, weil die FDA die Abgabe und Verabreichung der Medikamente praktisch nicht mehr kontrolliert.“ „Ohne eine persönliche Untersuchung“ der Frauen sei es zudem „unmöglich eine Eileiterschwangerschaft auszuschließen“, was die Betreffenden „einem erhöhten Risiko des Blasensprungs oder sogar des Todes aussetzt“. Auch würden die Ärzte in ihrer Gewissenfreiheit verletzt. „Diese Ärzte haben ihre berufliche Laufbahn so gestaltet, dass sie keine Abtreibungen vornehmen müssen.“ Da die Frauen jedoch „durch die gelockerten Standards der FDA“ vermehrt in die Krankenhäuser kämen, „wenn es zu Komplikationen durch die Medikamente kommt, haben diese Ärzte manchmal keine andere Wahl, als chirurgische Abtreibungen vorzunehmen“, so die Richter.

Im Griff der Abtreibungslobby

In dem Urteil führen die Richter die FDA streckenweise regelrecht vor. So vermerken sie beispielsweise: „Die wichtigste gegenteilige Behauptung der FDA ist, dass Mifepriston mit ,Ibuprofen‘ vergleichbar sei“, einem rezeptfreien Schmerzmittel, das in jeder Apotheke erstanden werden kann. Die dahinterstehende Theorie sei wohl, „dass wir die Klagebefugnis der Kläger nicht anerkennen können, ohne eine Büchse der Pandora zu öffnen, die Ärzte berechtige, jederzeit alles zu verklagen“. Dem halten die Richter entgegen: „Wir sind anderer Meinung, denn die eigenen Dokumente der FDA zeigen, dass Mifepriston keine Ähnlichkeiten mit Ibuprofen hat“. So habe die FDA im Jahr 2000 einen „Black Box“-Warnhinweis für Mifepriston eingeführt. „Black Box“-Warnungen verlange die FDA aber nur, „wenn ein Medikament zum Tod oder zu schweren Verletzungen‘ führen“ könne. Dagegen enthielten die FDA-Regelungen für Ibuprofen weder einen „Black Box“-Warnhinweis noch REMS. Wie die Richter „zusammenfassend“ schreiben, „beweisen“ die Dokumente der FDA und des Herstellers, dass der Gebrauch des Präparats dazu führe, dass hunderttausende Frauen notfallmäßig behandelt werden müssten.

Bei Licht betrachtet lässt der in dem Urteil dokumentierte Umgang der US-Arzneimittelbehörde mit der Abtreibungspille nur einen Schluss zu: Die Abtreibungslobby hat die Biden-Administration fest im Griff. Statt um Wissenschaft geht es um Ideologie.

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