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Die Verteidigung des Westens ist eine geistige Herausforderung

Strategische Überlegungen ohne eine geistige Dimension bleiben unvollständig. Wir müssen über das Abendland sprechen. Ein Kommentar.
Zukunft des Westens
Foto: IMAGO/Konstantinos Zilos (www.imago-images.de) | Das, was Europa ausmache, sagte Theodor Heuss einmal, sei von drei Hügeln ausgegangen: der Akropolis, dem Capitol und Golgatha.

Norbert Röttgen hat Recht, wenn er im Interview mit dieser Zeitung eine strategische Neuausrichtung fordert. Und auch seine Diagnose stimmt: Deutschland befindet sich in gefährlichen Abhängigkeitsverhältnissen zu Russland, China und den USA. Die zentrale Rolle, die Deutschland in Europa und damit auch innerhalb des westlichen Bündnisses ausfüllen muss, ist aber nicht nur eine militärische oder wirtschaftliche Frage. Sie ist vor allem eine geistige.

Was sind "unsere westlichen Werte"?

Das, was Europa ausmache, sagte Theodor Heuss einmal, sei von drei Hügeln ausgegangen: der Akropolis, dem Capitol und Golgatha. „Aus allen ist das Abendland geistig gewirkt, und man darf alle drei, man muss sie als Einheit sehen“, so der erste Bundespräsident. Von welchem deutschen Spitzenpolitiker kann man heute noch solche Sätze hören? Und da liegt das Problem.

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Zwar werden allenthalben angesichts der Bedrohung durch Russland „unsere westlichen Werte“ beschworen, wenn es aber darum geht, genauer aus zu buchstabieren, was denn diese Werte seien und aus welchen geistigen Quellen sie schöpfen, bleiben die politischen Sonntagsredner in der Regel seltsam schweigsam. Wenn wir aber nicht wissen, was der Westen ist, dann können wir auch nicht wirklich verstehen, warum er verteidigt werden soll. 

Die Säulen des abendländischen Erbes

Wer gewinnen will, muss den Grund für seinen Kampf kennen. Theodor Heuss hat nicht den Jakobinerhut oder die Hügel, auf denen die französischen Revolutionäre ihre Gegner guillotiniert haben, zu Symbolen unserer abendländischen Kultur erklärt. Sondern er hob die drei Säulen hervor, die als abendländisches Erbe auch unsere Vorstellungen von westlicher Demokratie geprägt haben: das römische Recht, die griechische Philosophie und das christliche Menschenbild. 

Wer aber die identitätspolitischen Kulturkämpfe beobachtet, die immer stärker die Diskurse und Debatten in den westlichen Nationen bestimmen, der muss den Eindruck bekommen, dass wir in Zeiten des geistigen Bürgerkrieges leben. Ja, dass gerade diejenigen, die sich besonders die Verteidigung des Westens auf die Fahnen geschrieben haben (man denke an die Partei unserer Außenministerin), ein ganz andere Vorstellung von unserer geistigen Identität haben. 

Hier erscheint der Westen als Paradies des Jakobinertums, man will nicht abendländisch, sondern „woke“ sein. Ein gefährliches Zerrbild. Denn die Propagandisten und Internet-Trolle im Dienste von Putin, Xi Jinping & Co haben diese offene Flanke längst erkannt und versuchen, leider zunehmend erfolgreich, unter denen Beute zu machen, die angesichts dieser Verzerrungen vom Westen enttäuscht sind. Das dürfen wir nicht zulassen. Hier fängt die Verteidigung an. Und auch das eigentliche strategische Denken.   

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