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Die Sachsen nannten ihn „König Kurt“

Kurt Biedenkopf, von 1990 bis 2002 sächsischer Ministerpräsident, ist gestern im Alter von 91 Jahren in Dresden gestorben. Er gehörte zu den Ausnahmepolitikern seiner Generation.
CDU-Politiker Kurt Biedenkopf ist tot
Foto: Sebastian Kahnert (dpa-Zentralbild) | Kurt Biedenkopf (CDU), ehemaliger Ministerpräsident von Sachsen, steht anlässlich einer Feierstunde zum Tag der Deutschen Einheit im Sächsischen Landtag.

Die Sachsen nannten ihn „König Kurt“. Jetzt ist der König tot. Kurt Biedenkopf, von 1990 bis 2002 sächsischer Ministerpräsident, ist gestern im Alter von 91 Jahren in Dresden gestorben. Der Christdemokrat, der 1930 in Ludwigshafen geboren worden ist, aber vor dem Kriegsende auch prägende Jugendjahre in Sachsen erlebt hat, gehört zu den Ausnahmepolitikern seiner Generation. Auch er ergriff, wenn man so will, „den Mantel der Geschichte“, einerseits ähnlich, andererseits aber doch auf ganz andere Weise als Helmut Kohl, sein Generationsgenosse, der Biedenkopf ab den 70er Jahren gefördert hatte, doch später in ihm vor allem einen Konkurrenten sah.

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Unter ihm wurde Sachsen zum ostdeutschen Bayern

Als sich nach dem Zusammenbruch der DDR Biedenkopf die Möglichkeit bot, nach Sachsen zu gehen und dort für die CDU Ministerpräsident zu werden, griff er zu. Endlich hatte „der kleine Professor“ – so der andere Spitzname für ihn – die Möglichkeit eine Art Best-Practice-Beispiel für seine Ideen und Reformvorschläge zu liefern. Der leidenschaftliche Verfechter der Sozialen Marktwirtschaft machte Sachsen zum Musterland, zu einer Art ostdeutschem Bayern.

Wenn die Bürger aus diesem Freistaat, ganz ähnlich wie die aus dem anderen, auch heute noch oft mit einem besonderen Selbstbewusstsein auftreten, dann hängt dies auch mit der Ära Biedenkopf zusammen. Denn neben den wirtschaftlichen Erfolgen schuf Biedenkopf – hier passt „König Kurt“ tatsächlich - mit Ehefrau Ingrid, der allseits verehrten „Landesmutter“ an seiner Seite, mit Eloquenz und Charme den Rahmen für eine eigene sächsische Staatlichkeit, die sich freilich aus einer vielhundertjährigen Geschichte speiste. Biedenkopf half „seinen“ Sachsen dabei, ein Bewusstsein für ihre Geschichte zu finden und aus ihr Energie für die Lösung der Zukunftsaufgaben zu schöpfen. Elbflorenz – das war plötzlich keine historische Reminiszenz mehr, sondern Anspruch an die Gegenwart.

Die letzten Jahre von Biedenkopfs Regierungszeit waren aber dann überschattet von Rangeleien um seine Nachfolge mit seinem Finanzminister Georg Milbradt – es erinnert ein wenig an die Auseinandersetzungen zwischen Konrad Adenauer und Ludwig Erhard – und anderen Affären – es gab eben auch den „Sonnkönig Kurt“. 2002 trat Biedenkopf schließlich entnervt zurück.

Glänzende wissenschaftliche Karriere

Sachsen – das war allerdings schon Biedenkopfs zweites politisches Leben. Das erste hatte in den 70er Jahren begonnen, als ihn Helmut Kohl als CDU-Generalsekretär gewann. Da lag hinter dem immer noch verhältnismäßig jungen Mann eine bereits glänzende wissenschaftliche Karriere (mit 37 Jahren war der Jura-Professor Rektor der Ruhr-Universität Bochum) und eine Zeit in der Industrie. Mit Biedenkopf setzte in der Union die „goldene Zeit der Generalsekretäre“ ein, die später mit seinem Nachfolger Heiner Geißler fortgesetzt wurde. So viel Diskussion und Debatte wie damals war in der Partei nie.
Biedenkopf setzte freilich andere Akzente als der linkskatholische Geißler. Der Marktwirtschaftler Biedenkopf, hier sichtlich auch durch seine Studienaufenthalte Anfang der 50er in den USA geprägt, setzte mehr auf Freiheit als auf Sicherheit.

Allerdings dachte Biedenkopf schon immer über den Tellerrand hinaus. In den Medien verschaffte ihm das früh den Ruf eines „Querdenkers“ – damals noch gänzlich unverdächtig. Freilich machte gerade das Helmut Kohl nervös – wollte da etwa jemand Kalif an Stelle des Kalifen werden? Die beiden schieden im Zorn und Biedenkopf versuchte einen neuen politischen Anlauf in Nordrhein-Westfalen.

Mahnender Beobachter des Zeitgeschehens

Doch auch der endete glücklos. Stattdessen konzentrierte er sich wieder stärker auf die Analyse gesellschaftlicher Fehlentwicklungen und wie diesen aus dem Geiste der Sozialen Marktwirtschaft entgegengewirkt werden könnte. Zusammen mit Meinhard Miegel, einem ehemaligen Mitarbeiter aus der CDU-Bundesgeschäftsstelle, gründete er 1977 das „Institut für Wirtschaft und Gesellschaft“. Dort wurden damals bereits Entwicklungen vorhergesagt, die bis in die Gegenwart Probleme bereiten und immer noch einer Lösung harren: Von der Demographie bis hin zur Finanzierung der Renten.

Biedenkopf konnte, nachdem er der aktiven Politik den Rücken zugekehrt hatte, an diese Rolle wieder anknüpfen: Er wurde zum mahnenden Beobachter des Zeitgeschehens, der mit seinem analytischen Verstand und seiner rhetorischen Kraft immer noch wusste, wie man den Finger in die Wunde legt. Eines seiner letzten Bücher hieß bezeichnenderweise „Ausbeutung der Enkel. Plädoyer für die Rückkehr zur Vernunft“.

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