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Ludwig Erhard: Marktwirtschaftler mit Wertekompass

Wirtschaftliche Freiheit als Garant der Menschenwürde: Elmar Nass ist der Wertebasis von Ludwig Erhard nachgegangen.
Ludwig Erhard, Wirtschaftspolitiker mit Zigarre
Foto: imago stock&people (imago stock&people) | Wirtschaftspolitiker mit Zigarre und klarem Wertekompass: Ludwig Erhard

Er war Kanzler, Minister und Professor, aber kein Theoretiker. Ludwig Erhard setzte als Bundeswirtschaftsminister die Soziale Marktwirtschaft als das ordnungspolitische Modell für Wirtschaft und Gesellschaft in der Bundesrepublik um. Dabei war ihm klar, dass es sich bei diesem Konzept eben um ein Modell und keine abgeschlossene Theorie handelt. In sie sind verschiedene Denkrichtungen eingeflossen, die je nach politischer Umsetzung unterschiedlich gewichtet worden sind. Welcher Denkrichtung ist aber Erhard selbst zuzuordnen?

Obwohl der erste Bundeswirtschaftsminister auch als Person, ja sogar durch sein Äußeres – wohlgenährter fröhlicher Mann mit Zigarre im Mund – zu einer Art Ikone der sogenannten „Wirtschaftswunder“-Zeit wurde, wissen wir immer noch erstaunlich wenig darüber, von welchen ethischen Grundsätzen sich Erhard, der schließlich als Nachfolger Konrad Adenauers ja auch noch Bundeskanzler wurde, leiten ließ. Hier setzt nun Elmar Nass mit einer interessanten neuen Untersuchung an. „Ludwig Erhards Ethik Sozialer Marktwirtschaft“ will er in einem Beitrag rekonstruieren, der nun in der aktuellen Ausgabe der „Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte“ (Band 85, Heft 3) erschienen ist.

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Dabei ist dem Professor für Christliche Sozialwissenschaften und gesellschaftlichen Dialog an der Kölner Hochschule für Katholische Theologie klar, dass er lediglich Perspektiven für weitere Forschungen aufzeigt und noch nicht das Thema abschließend behandeln kann. Trotzdem lohnt die Lektüre der Überlegungen von Nass gerade jetzt, wo ordnungspolitische Orientierung im Politik-Alltag nicht selbstverständlich ist. Die Wertebasis von Ludwig Erhard prüft Nass systematisch und geht dabei Erhards Menschenbild, dessen Idee vom Zusammenleben in einer Gesellschaft, dem Grundverständnis von Wirtschaft und den weltanschaulichen Einflüssen nach, die den Politiker geprägt haben.

Klarer Kurs, nicht nur in der Wirtschaft

Erhard plädiert ganz klar für eine marktwirtschaftliche Ordnung: „Das erfolgversprechendste Mittel zur Erreichung und Sicherung jeden Wohlstands ist der Wettbewerb.“ Aber der Markt ist für ihn kein Selbstzweck. Erhards „Ja zur Markt- und Preisfreiheit“ sei kein „Ja zum Laissez-faire“, so Nass. Erhard vertraut nicht allein auf die Selbstheilungskräfte des Marktes. Die Wirtschaft kann nicht nur nach ökonomischen Prinzipien gestaltet werden, sondern es sind auch immer die Auswirkungen auf das gesellschaftliche Zusammenleben und den sozialen Frieden in den Blick zu nehmen. Aus dieser soziologischen Perspektive werde die Wirtschaftsordnung für Erhard zu einem „Kulturprogramm“. Diese Sicht entspricht der Vorstellung von Erhards langjährigem Staatssekretär Alfred Müller-Armack auf die Soziale Marktwirtschaft als Konzept für einen neuen Wirtschaftsstil: „So erstrebt die neue Wirtschaftspolitik sozialen Fortschritt über marktkonforme Maßnahmen. Sie versteht darunter Maßnahmen, die den sozialen Zweck sichern, ohne störend in die Marktapparatur einzugreifen.“ Nach diesem Ansatz werden Effizienz und Gewinn am Markt zwar befürwortet, sie seien aber, wie Nass darlegt, „nicht der letzte Zweck der Wirtschaft“. Der möglichst freie Markt dient aus Sicht von Erhard als Instrument dazu, „die Menschenwürde als Autonomie (im Sinne der Befähigungsfreiheit) gesellschaftlich zu ermöglichen“. Dabei müssen die Ziele „von der Realität des gelebten Menschseins und Zusammenlebens her gedacht werden“.

Genau in dieser konkreten Realität manifestiert sich für Erhard das Soziale: Marktwirtschaft diene damit mit ihren Prinzipien „der Umsetzung des sittlichen Ziels“. Auch die Ziele etwa, die mit dem Magischen Viereck umschrieben werden (Stabilität des Preisniveaus, hoher Beschäftigungsgrad, außenwirtschaftliches Gleichgewicht, stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum) und auf die die deutsche Wirtschaftspolitik durch das Stabilitätsgesetz verpflichtet ist, stellen danach keinen Selbstzweck dar, sondern sind „ein Dienstwert an Humanität und Harmonie“. Die Folgerung von Nass: „Die Marktwirtschaft ist dann sozial, wenn sie Wohlstand für alle Menschen als positive Freiheit schafft, damit alle dazu Fähigen eigenverantwortlich für sich selbst sorgen und vorsorgen können und so ihre Menschenwürde zu realisieren befähigt sind. Durch eigene Arbeit und auch mit Opferbereitschaft sollen sie Leistung erbringen, die belohnt wird.“ Und das hieße dann auch, dass eine Verweigerung dieser Leistungsbereitschaft Sanktionen zu Folge haben muss: „Soziale Transfers im Sinne der Fürsorge stehen im Sinne der Subsidiarität nur denen zu, die sich nicht selbst helfen können.“

Ein „froher Christenmensch“

Die Wurzeln von Erhards Wertebasis liegen für Nass im Christlichen Humanismus und im Neoliberalismus. Nach Erhard ist die Soziale Marktwirtschaft anthropologisch fundiert. Und gerade das mache diese Ordnung zu einem offenen System, das auf neue Herausforderungen wie etwa die Digitalisierung, Folgen einer Pandemie oder die Bewahrung der Schöpfung reagieren könne.

Schließlich weist Nass darauf hin, dass Erhard diese ethischen Ziele nicht nur gefordert, sondern auch als Person glaubwürdig vertreten habe. Der „frohe Christenmensch“, so hat ein Weggefährte Erhard einmal charakterisiert, habe durch praktisches Vorleben gezeigt, welche Tugenden ihm wichtig sind: Realitätsnähe, Handeln statt bloßer Absichtserklärung, Leistung und Optimismus (von einer nachwirkenden Verletzung im Ersten Weltkrieg ließ sich der junge Erhard nicht aus der Bahn werfen) wie die Fähigkeit zur Selbstreflexion und ein unabhängige Geradlinigkeit (als sich abzeichnete, dass er seine Ziele als Bundeskanzler nicht verwirklichen kann, trat er zurück).

Elmar Nass hat zwar mit seinen Untersuchungen zur sozialethischen Basis bei Ludwig Erhard nur eine Vorarbeit geleistet. Aber ein erster Schritt ist gesetzt.

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