„Lechts und rinks kann man nicht velwechsern. Werch ein Illtum“, witzelte schon von Jahrzehnten Ernst Jandl. Der Dichter war ein Prophet: Zwar gibt es heute so klar wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik politische Parteien, die eindeutig der Rechten oder der Linken zuzuordnen sind. Trotzdem konnte man in diesen Tagen den Eindruck bekommen, die Vorzeichen sind getauscht worden. Man musste nur im Bundestag in dieser Woche genau hinhören.
Rechts wird das Bekenntnis zum wehrhaften Staat verortet, der das Land gegen seine Feinde verteidigen will. Nirgendwo wurden aber die Reichsbürger-Umsturzpläne so verharmlost wie bei der AfD. Auf dem linken Spektrum hingegen gibt es neuerdings eine neue Schwärmerei für die harte Hand des Obrigkeitsstaates, die gefälligst den Knüppel zu führen hat gegen den „großen Lümmel“, den Umsturz, zumindest solange er von rechts droht.
Es gibt Gewaltbereite
Gewiss, die Ermittlungen in der Reichsbürger-Frage müssen erst einmal abgewartet werden. Und es muss auch aufgeklärt werden, ob Bundesinnenministerin Nancy Faeser die Groß-Aktion instrumentalisieren wollte, um sich als künftige SPD-Spitzenkandidatin in Hessen in Szene zu setzen. Trotzdem steht aber unzweifelhaft fest: Es gibt die Reichsbürger, es gibt dort den Traum vom System-Umsturz und es besteht die Bereitschaft zur Gewaltanwendung. Das müsste eigentlich für jeden Anhänger des Rechtsstaates ausreichen, um für ein entschiedenes Vorgehen gegen diese Feinde unserer Demokratie einzutreten. Doch für die Rechten von der AfD reicht es offenbar nicht – und das sagt einiges über ihr Verhältnis zum Recht.
Da trennt sich Spreu vom Weizen
Andererseits sollte die Linke nicht überreizen und die günstige Ausgangslage nutzen, um alles, was rechts von ihr steht, grundsätzlich unter Extremismusverdacht zu stellen. Nach dem Motto: Alles potentielle Reichsbürger . Die deutsche Linke müsste aus ihren Erfahrungen in den 70ern mit dem „Radikalenerlass“ eigentlich gelernt haben, wie eine solche Verdachtskultur Radikalität noch befeuern kann.
Im Umgang mit der Reichsbürger-Frage trennt sich die Spreu vom Weizen. Es zeigt sich, wer tatsächlich loyal zum Rechtsstaat steht. Und wem es nur darum geht, Vorteile für das eigene Lager herauszuschlagen, sei es rechts oder links.
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