Der amtierende Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) und dessen Staatssekretär Jörg Leichtfried (SPÖ) sind zusammen mit dem Leiter der Direktion Staatsschutz Nachrichtendienste Omar Haijawi-Pirchner in Wien vor die Presse getreten. Zu dritt stellten sie den jüngsten Verfassungsschutzbericht vor. Die alarmierende Botschaft: Der Extremismus in Österreich nimmt in allen Bereichen zu und die Terrorgefahr ist weiter hoch. Karner führt das auf die Lage im Nahen Osten und den Krieg in der Ukraine zurück: „Die Sicherheitslage hat sich in Österreich durch den Terrorangriff der Hamas auf Israel sowie durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine nachhaltig verändert.“
Konkret bedeutet das: Die österreichischen Behörden haben seit dem Terror-Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und den grausamen Geiselnahmen in acht Fällen einen islamistischen Anschlag in Österreich verhindert. Im Visier der Terroristen waren dabei Wiens Haupt- und Westbahnhof, der Stephansdom, eine jüdische Synagoge, der weitläufige Prater, die Grazer Innenstadt und das Wiener Happel-Stadion, wo im August 2024 erst in letzter Minute ein Anschlag auf das geplante Taylor-Swift-Konzert verhindert werden konnte. Am 16. Februar 2025 konnten die Behörden einen islamistischen Attentäter nicht mehr aufhalten. Der 23-jährige Syrer Ahmad G. erstach an einem Samstag mitten in der Villacher Innenstadt (Kärnten) einen 14-jährigen Buben und posierte bei seiner Festnahme lächelnd mit dem erhobenen IS-Finger.
„Risikostufe 4“
Der ÖVP-Innenminister sprach deshalb davon, dass der „islamistische Extremismus die größte Bedrohungslage darstellt“. In Zahlen sind die islamistischen Taten in Österreich im Jahr 2024 um 40 Prozent gestiegen. Das hat zur Folge, dass die Terrorgefahr im Land weiter als „hoch“ (Risikostufe vier von fünf) eingeschätzt wird. Im Zentrum der Ermittler stehen insbesondere Jugendliche, die sich über das Internet, Soziale Netzwerke und Online-Foren radikalisieren. Leichtfried sagte dazu: „Seit 2022 hat sich die Radikalisierung im Internet mehr als verdoppelt! Extremistische Akteure nutzen gezielt soziale Medien und digitale Plattformen, um Jugendliche und sogar Kinder zu manipulieren, zu vereinnahmen und in radikale Netzwerke einzubinden.“
Wie alarmierend das versteckte Potenzial von jung, radikal und islamistisch ist, zeigt ein vergleichender Blick auf die Zahlen. Zwar sind im Bereich des radikalen Islamismus die Tathandlungen um 40 Prozent gestiegen, von 152 auf 215, doch ist das bei weitem nicht der größte Anstieg. Im Bereich des Linksextremismus sind die Zahlen explodiert – um 120 Prozent (von 97 auf 214 Taten). Und in absoluten Zahlen übersteigen 1.486 rechtsextreme Delikte (Anstieg um 23 Prozent) den linksextremen und den islamistischen Extremismus zusammen um ein Vielfaches.
„Vielschichtig und dynamisch“ – auch politisch
Die größte Gefahr für die Innere Sicherheit in Österreich schlummert weitestgehend im Verborgenen. Es ist eine hybride Bedrohung, die den Extremismus von links und rechts bei weitem übertrifft. Im Fachjargon heißt das, die „evidente Kombination von abstrakten Gefahren und konkreten Bedrohungen“. Einzeltäter, Kleingruppen, von sogenannten Gefährdern und Schläfern bis zu fanatischen Teenagern, deren Radikalisierungspotenzial gefährlich steigt. Und konkret geht es bei dieser Gefahr um nichts weniger als Terror.
Der Innenminister will als Gegenmaßnahmen den Staatsschutz personell weiter ausbauen und auch die Überwachung im Bereich der Messenger-Dienste aufstocken. Für Zweiteres gibt es in der österreichischen Variante der Ampel-Koalition aus ÖVP, SPÖ und NEOS allerdings keine Mehrheit. Die liberalen NEOS sträuben sich - noch. Mit Kritik reagierte die Opposition. Die FPÖ nannte den Umgang der Regierung mit der extremistischen Gefahr „grob fahrlässig“. Geht es nach Herbert Kickls rechter Hand, dem freiheitlichen Generalsekretär Michael Schnedlitz, dann ist man in Österreich „nicht mehr sicher - nirgendwo und zu keiner Zeit“. Die nach einem zähen Verhandlungsmarathon erst seit wenigen Monaten amtierende Regierung steht unter Druck. Wachsende Unzufriedenheit aufgrund mangelnder Innerer Sicherheit ist politisch toxisch. Zwar haben ÖVP, SPÖ und NEOS in aktuellen Umfragen weiterhin eine Mehrheit, doch die Freiheitlichen sitzen den drei Parteien im Nacken. Mit stabil über 30 Prozent führen die Blauen seit Jahresanfang jede Umfrage an, während die beiden Großparteien ÖVP und SPÖ um die 20-Prozent-Marke kämpfen. Da ist eine „vielschichtige und dynamische Sicherheitslage“, wie es aus dem Innenministerium heißt, nicht nur hinsichtlich der Sicherheit gefährlich, sondern auch politisch potenziell ein vielschichtiges und dynamisches Problem.
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