Am vergangenen Sonntag fanden in Argentinien Parlaments-Halbzeitwahlen statt, um die Hälfte der Abgeordnetenkammer (127 Abgeordnete) und ein Drittel des Senats (24 Sitze) neu zu besetzen. Diese Wahlen haben dem amtierenden Präsidenten Javier Milei unerwartet Rückenwind verschafft, und das trotz anhaltender wirtschaftlicher Turbulenzen im Land.
Mit mehr als 40 Prozent der Stimmen wurde Mileis Partei „La Libertad Avanza“ landesweit zur stärksten Kraft. Bemerkenswert ist, dass der Sieg auch in der Hauptstadt Buenos Aires gelang, wo Peronisten und oppositionelle Provinzparteien zuletzt dominierten. Die Wahlen wurden zu einem Plebiszit über Mileis Kurs, und der Präsident geht gestärkt aus ihnen hervor.
Binnen Wochen schafft Milei die Trendwende
Im September 2025 hatte die peronistische Opposition bei den Kommunalwahlen in der Provinz Buenos Aires mit etwa 47 Prozent deutlich vorne gelegen und damit die anstehenden Parlamentswahlen zu einem vermeintlichen Stimmungstest für die Mitte-links-Kräfte erklärt. Doch Mileis Partei schaffte binnen Wochen die Trendwende. Analysten sprechen von einer enormen Mobilisierung: Milei verstand es, Unzufriedenheit und wirtschaftliche Erschöpfung gezielt in politische Energie zu verwandeln, besonders in urbanen Randgebieten, die zuvor als peronistische Bastionen galten.
Politisch verschafft das Wahlergebnis Mileis Regierung eine Sperrminorität in beiden Kammern, um präsidentielle Vetos durchzusetzen und die Reformagenda – von Marktliberalisierung bis zur strikten Fiskalpolitik – in Teilen abzusichern. Der US-Präsident Donald Trump hatte die Bedeutung von Mileis Kurs unterstrichen, indem er im Vorfeld US-Hilfen explizit an seinen Sieg koppelte und weitere Milliardenhilfe für Argentinien zusagte – vorausgesetzt, die Reformen würden vorangetrieben. Die spanische Zeitung „El Debate“ schreibt dazu: „Der Sieg von Javier Milei bei den Parlamentswahlen ist auch der Sieg des Präsidenten der Vereinigten Staaten. Ohne ihn hätte der Löwe nicht so brüllen können wie gestern Abend.“
Trotz andauernder Inflation, sinkender Realeinkommen und sozialer Härten entschieden sich viele für Kontinuität. Argentinische Kommentatoren interpretieren dies als „Abstimmung aus Angst vor der Gegenwart“ – der Wahlerfolg geschah also weniger aus Begeisterung für Milei, sondern ist als Absage an die zerstrittene Opposition zu verstehen. Milei gab sich zuletzt versöhnlicher und setzte auf das Gefühl von Stabilität, während seine Gegner programmatisch uneins und organisatorisch fragmentiert blieben.
Die strategischen Schwächen des Peronismus offenbart
Die Wahl offenbarte zugleich die strategischen Schwächen des Peronismus. Manche argentinischen Beobachter sind der Meinung, es fehle der Bewegung ein gemeinsames Symbol und eine klare Linie zwischen kirchneristischer Rhetorik und lokalem Pragmatismus. Die Opposition bleibe orientierungslos, auch nach der Niederlage in Buenos Aires, die bislang als ihre letzte Festung galt.
Dennoch sind Mileis Handlungsspielräume begrenzt. Die wirtschaftliche Abhängigkeit von Washington und die fragilen sozialen Verhältnisse setzen ihm enge Grenzen. Der Wirtschaftsexperte Carlos Pagni („La Nación“) sieht Mileis Kernherausforderung darin, „aus einer Bewegung des Zorns eine regierungsfähige Partei zu formen“. Gerade in Buenos Aires bleiben lokale peronistische Netzwerke, Gewerkschaften und Kommunalverwaltungen ein Machtfaktor, der den Reformkurs verzögern oder blockieren könne.
Der Wahlerfolg schürt Erwartungen, birgt aber auch Risiken: Jede Verzögerung bei wirtschaftlicher Erholung oder sozialer Besserung birgt die Gefahr, die neu gewonnene Legitimität schneller zu verlieren als aufgebaut. Internationale Stimmen, etwa „El País“ oder die „Deutsche Welle“, betonen das paradoxe Bild: Mileis Sieg bringt politische Konsolidierung, aber belässt Argentinien in einem Zustand struktureller Verletzlichkeit.
Der 26. Oktober steht somit für mehr als ein Wahlergebnis: Milei verankert sich als Institution, sein radikaler Diskurs erhält nationale Tiefe und symbolische Legitimität. Doch der politische Alltag bleibt von ökonomischer Unsicherheit, sozialer Brisanz und einer fragmentierten Oppositionslandschaft geprägt. Ob sich die Krisenmobilisierung in dauerhafte Regierungsfähigkeit übersetzen lässt und ob Milei mit dem Mandat des Erfolgs nachhaltigen Wandel gestalten kann, bleibt offen.
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