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Was die Legalisierung von Cannabis bedeuten würde

Die Ampel-Parteien wollen das „Kiffen“ entkriminalisieren. Der Staat würde sich über die zusätzlichen Einnahmen freuen, der Deutsche Ärztetag hingegen schlägt Alarm.
23. Hanfparade für eine Legalisierung von Cannabis
Foto: Jörg Carstensen (dpa) | Zahlreiche Menschen ziehen bei der 23. Hanfparade für eine Legalisierung von Cannabis am Reichstag vorbei.

Cannabis freigeben?“ Auf diese Frage reichen sich Claudia Roth, Bundestagsabgeordnete der Grünen, und Marie-Agnes Strack Zimmermann, Bundestagsabgeordnete der FDP, in Einigkeit die Corona-Faust. Wenn es um das „Kiffen“ geht, herrscht nicht nur in der ARD-Talkshow „Maischberger“, die die beiden Ampel-Grandes Dames vor der Bundestagswahl zu sich einlud, eitel Sonnenschein zwischen den künftigen Koalitionspartnern.

Verkauf von Cannabis soll legalisiert werden

Aus einem Papier der Facharbeitsgruppe Gesundheit der laufenden Koalitionsverhandlungen geht nun hervor, dass SPD, FDP und die Grünen den Verkauf von Cannabis legalisieren wollen. Das berichtete die Funke Mediengruppe letzten Donnerstag. „Wir führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften ein", hielten die Verhandler in dem Ergebnis-Papier fest. Dadurch könnte die Qualität kontrolliert, die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert und der Jugendschutz gewährleistet werden. Nach vier Jahren solle das entsprechende Cannabis-Gesetz auf „gesellschaftliche Auswirkungen“ überprüft werden. Ob dies am Ende wirklich die Beschlusslage sein wird, ist offen. Sicher ist, dass Lockerungen kommen werden. Die SPD ist bei dem Thema zögerlicher als FDP und Grüne. In ihrem „Zukunftsprogramm“ heißt es zum Thema Cannabis: „Cannabis ist eine gesellschaftliche Realität, mit der wir einen adäquaten politischen Umgang finden müssen.“

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Für eine echte Legalisierung scheinen sich die Sozialdemokraten bisher nicht begeistern zu können. Stattdessen wollten sie in Modellprojekten eine regulierte Abgabe des Rauschmittels erproben. Strikt dagegen ist nur die CDU/CSU. „Ich glaube, wir haben echt andere Sorgen“, sagte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) in der Sendung „Frühstart“ von RTL/ntv. Der CSU-Generalsekretär Markus Blume nannte die Freigabe auf Twitter ein „gefährliches Experiment“. Die Wirkung als Einstiegsdroge werde verharmlost. „An den Niederlanden sieht man: Die Freigabe ist ein Einfallstor für organisierte Kriminalität“, twitterte Blume dazu. Allerdings sind dort der Kauf und Verkauf von Cannabis illegal. Der Besitz und Verkauf in zugelassenen Coffeeshops von bis zu fünf Gramm Cannabis und fünf Hanfpflanzen wird jedoch seit 1976 nicht mehr strafrechtlich verfolgt. Somit sind der Besitz und Verkauf von Cannabis in den Niederlanden de facto entkriminalisiert.

CDU/CSU sind gegen eine Legalisierung

Sowohl die Grünen als auf die FDP versuchten in den letzten Jahren, einen entsprechenden Antrag im Bundestag durchzubringen. 2015 und 2017 brachten die Grünen einen „Entwurf eines Cannabiskontrollgesetzes“ heraus. Sie wollten erreichen, dass der Anbau, Verkauf und Besitz von bis zu 30 Gramm Hanf, dem deutschen Ausdruck für die Pflanze „Cannabis sativa“, künftig erlaubt ist. 2017 wurden sie dabei von der Linksfraktion unterstützt. Die Anträge scheiterten an der großen Koalition.

2018 strebten die Freien Demokraten vorerst Modellprojekte an. Damit sollte eine „goldene Brücke“ zu CDU und SPD gebaut werden. Der Vorstoß scheiterte. Der letzte Versuch im März 2021 war ein Antrag zur Freigabe von Cannabis an Erwachsene, der ebenfalls abgelehnt wurde. Der Inhalt der Vorlage könnte nun aber von der neuen Parlamentsmehrheit gebilligt werden. Dort schlägt die FDP 15 Gramm als maximale Cannabisbesitzmenge für Privatpersonen vor. Pro 100 Milligramm THC, das ist der Wirkstoff der Hanfpflanze, sollten zehn Euro Steuern für Genusscannabis anfallen.

Dass der Staat von der Legalisierung profitieren würde, ist eines der Argumente der Ampel-Parteien. „Eine Besteuerung von Cannabis anhand des THC-Gehalts könnte dem Staat jedes Jahr eine Milliarde Euro an Einnahmen bescheren“, heißt es in dem FDP-Antrag vom März 2021. Das Cannabiskontrollgesetz der Grünen spricht gar von zwei Milliarden Euro. Das Institut für Wettbewerbsökonomie (DICE) veröffentlichte eine neue Studie, die berechnete, dass die Legalisierung dem Staat jährlich um die 4,7 Milliarden Euro einbringen würde. Die Summe setzt sich aus Steuereinnahmen, Körperschafts-, Gewerbe- und Umsatzsteuer, Sozialbeiträgen sowie Einsparungen bei der Strafverfolgung zusammen. Laut den Berechnungen, die ein Update einer Studie, die 2018 im Auftrag des Deutschen Hanfverbands angefertigt wurde, würden durch die neue Cannabiswirtschaft 27.000 legale Arbeitsplätze entstehen.

Entlastung für Polizei und Justiz

Ein weiteres Argument für die Legalisierung des Rauschmittels ist, dass es Polizei und Justiz stark entlasten würde. Allein seit 2010 stieg die Gesamtzahl der Ermittlungsverfahren wegen Cannabis in Deutschland um 74,6 Prozent an. Laut dem Europäischen Drogenbericht von 2015 gehen 63 Prozent aller Drogendelikte auf Cannabis zurück. Die Verfahren, die meist Kleinkonsumenten betreffen, werden zu fast 100 Prozent eingestellt. Nicht alle sind von einer Legalisierung des Rauschmittels begeistert: Teilnehmer des Deutschen Ärztetags, der Anfang November in Berlin tagte, warnen vor möglichen gesundheitlichen Risiken, vor allem für junge Menschen.

Cannabis ist nämlich nicht nur unter Erwachsenen, sondern auch unter Jugendlichen die beliebteste illegale Droge in Deutschland. Jeder Zehnte 12- bis 17-Jährige konsumierte im Jahr 2018 schon einmal Cannabis. Seit 2011 hat sich der Konsum der Jugendlichen und jungen Erwachsenen stetig erhöht. Man kann getrost sagen, dass die Droge in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Das Rauschmittel kann zu gesundheitlichen und sozialen Beeinträchtigungen führen. Mögliche akute Folgen sind zum Beispiel Einschränkungen von Gedächtnis und Aufmerksamkeit oder ein erhöhtes Unfallrisiko. Längerfristig können Abhängigkeit oder eine Verminderung der Lungenfunktion Folgen sein sowie die psychosoziale Entwicklung oder die psychische Gesundheit beeinträchtigt werden. Vergleiche mit Ländern wie Portugal, Spanien, den Niederlanden oder den USA, die Erfahrung mit einem straffreien Konsum von Cannabis haben, sind problematisch, da die Forschung nicht übereinstimmend ist.

Hat Kriminalisierung einen abschreckenden Effekt?

Das bestätigt auch Siegfried Gift von Condrobs, einem Verein, der unter anderem Suchthilfe für Jugendliche anbietet. „Man kann keine einheitlichen Trends erkennen“, sagt der Abteilungsleiter der Jugend- und Familienhilfen gegenüber dieser Zeitung. Gift spricht sich für die Entkriminalisierung von Cannabis aus. Er ist der Ansicht, dass die Kriminalisierung keinen abschreckenden Effekt hat. „In Bayern haben wir die restriktivsten Cannabisgesetze in ganz Deutschland. Trotzdem ist die Rate der Konsumenten sehr hoch“, meint Gift. Diese Beobachtung deckt sich mit einer internationalen Studie von 2016, die zu dem Schluss kommt, dass eine strikte Drogenpolitik wenig bis keinen Einfluss auf das Konsumverhalten hat.

In einem Punkt sind sich Wilfried Kunstmann von der Bundesärztekammer und Siegfried Gift von Condrobs einig: Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen „Kiffen“ und dem Konsum anderer Suchtmittel gäbe es keine. Das viel zitierte Argument, Cannabis sei eine Einstiegsdroge, ist umstritten.

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