Israel ist in der Defensive, aber wer ist in der Offensive? Klar ist: Israel ist angegriffen worden und muss zurückschlagen. Das Land, dessen Selbstverständnis seit seiner Gründung vor 75 Jahren darauf beruht, dass Juden nie wieder Opfer werden sollen, ist so brutal attackiert worden, dass nun die Staatsraison gebietet, die Hamas kampfunfähig zu machen.
Nein, Israel hat nicht viele Optionen, sondern ist unter Zugzwang: Das Land musste trotz unüberbrückbarer Gegensätze zwischen seinen politisch-ideologischen Lagern angesichts des Terrors zusammenrücken; und es muss – im Wissen darum, dass die Stimmung in der globalen Öffentlichkeit angesichts schrecklicher Bilder kippen wird – irgendwie im Gaza-Gebiet zuschlagen, um die Terrorzellen zu treffen.
Auch die USA sind in der Defensive
Auch die USA sind in der Defensive: Die Solidarität mit Israel und die Angst vor einer drohenden Eskalation über Israels Grenzen hinaus bestimmen den Kurs Washingtons. Die Existenz Israels zu bewahren und einen Weltkrieg zu verhindern, ist jenes Doppelziel, das Präsident Biden und sein Außenminister Blinken in diesen Tagen emsig betreiben. Darum nochmals: Wer ist in der Offensive? Wer ist an einer Eskalation interessiert und in der Lage diese zu steuern?
Der Blick fällt zunächst auf Teheran: Der schiitische Iran hält sich seit Jahrzehnten die schiitische „Partei“ und Terrormiliz Hisbollah im Libanon und hat nun auch die sunnitische Hamas hochgerüstet und motiviert. Traditionell ging es dem Iran darum, einen schiitischen Machtgürtel vom Westen Afghanistans bis zum Mittelmeer zu kontrollieren. Angesichts eines von den USA eingefädelten nahenden Abkommens zwischen Saudi-Arabien und Israel setzte Teheran auf blutige Eskalation. Der Hamas, die den Eindruck hatte, Saudis und Israelis würden sich hinter dem Rücken und auf Kosten der Palästinenser arrangieren, kam die iranische Hilfe gerade Recht.
Wer Antworten sucht, muss nach Teheran blicken
Sieht man genauer hin, erweist sich der Iran als Drehscheibe vieler Entscheidungen auf mehreren Feldern. Ein aktuelles Beispiel: Am Montag telefonierte Irans Außenminister mit der Hamas und dem Palästinensischen Islamischen Dschihad, konferierte mit Russlands Außenminister Sergej Lawrow und mit seinen Amtskollegen aus Aserbaidschan und Armenien. In drei Kriegsgebieten spielt Teheran derzeit gleichzeitig eine Rolle: Im Nahen Osten dirigiert es die Hisbollah und unterstützt die Hamas, im Kaukasus bremst es eine Eskalation zwischen Aserbaidschan und Armenien, im Krieg gegen die Ukraine liefert es Kampfdrohnen an Russland. Wer Antworten auf die Frage sucht, ob der Krieg um Gaza über alle Grenzen schwappt und eine internationale Dimension gewinnt, muss deshalb nicht nach Kairo oder Amman blicken, sondern nach Teheran.
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