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Der Bauch-Katholik: Helmut Kohl und die Kirchen

Kohl kannte sein katholisches Milieu, weil er selbst aus ihm stammte. Das macht ihn aber nicht zu seinem Erfüllungsgehilfen.
Helmut Kohl war für weltanschauliche Kulturkämpfe nicht zu haben
Foto: Fredrik von Erichsen (dpa-POOL) | Helmut Kohl war für weltanschauliche Kulturkämpfe nicht zu haben. Deswegen wusste er auch, dass die Modernisierungssehnsüchte in dem damaligen katholischen Milieu zwar Reformen ersehnten, aber nicht auf einen ...

Es klingt wie eine Geschichte aus der guten alten Zeit. Wenn Helmut Kohl Staatsgäste aus dem Ausland bekam, dann führte er sie nicht nach Berlin, sondern in den Speyrer Dom. Ob Mitterrand, Bush senior oder König Juan Carlos – sie alle waren da. Kohl bezeichnete den Dom gerne als seine „Hauskirche“. In der Ära Kohl fiel auf, wenn ein Kabinettsmitglied bei seinem Eid die Gottesformel weggelassen hat. Heute ist es genau umgekehrt. In diesem Jahr ist es ein Vierteljahrhundert her, dass Kohl als Bundeskanzler abgewählt worden ist. Gerade wenn man auf das Verhältnis zwischen Kirche und Politik zurückschaut, scheinen zwischen der guten alten „Bonner Republik“ und der heutigen „Berliner“ Lichtjahre zu liegen. Aber Vorsicht, bitte keine falsche Verklärung. 

Schon in den 60ern spürte Kohl die Säkularisierung

Es war einmal – so fangen nicht umsonst Märchen an, Geschichten aus der Geschichte können auch schnell solche märchenhaften Züge annehmen. Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat dieser Gefahr nun mit einer Tagung über das Verhältnis von Kohl und den Kirchen einen Riegel vorgeschoben. Eine interessante Mischung aus Vorträgen und Wissenschaftlern und Berichten von Zeitzeugen warf einen Blick auf diese Ära deutscher Geschichte (ein ausführlicher Bericht folgt noch).

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Was klar geworden ist: So viel hat sich gar nicht geändert. Bereits in den 60er Jahren hatte die Säkularisierung die Gesellschaft erfasst. Gerade Kohl hatte das schon als rheinland-pfälzischer Ministerpräsident spüren müssen. Er trieb etwa das Ende der konfessionellen Volksschule voran, trotz massiven Protesten aus den Generalvikariaten, vom Nuntius und den Altvorderen seiner Partei, allesamt Veteranen des politischen Katholizismus der Weimarer Republik. Kohl wusste nämlich, dass die Mehrheit der Bevölkerung dieses Schulmodell für überholt hielt. Das reichte für den Pragmatiker, um zu handeln. Ihm war wichtig, das Ohr am Puls der Zeit zu haben. Diese Linie ist typisch auch für sein späteres Verhalten. 

Er war kein Ideologe

Kohl war kein Ideologe. Für weltanschauliche Kulturkämpfe war er nicht zu haben. Deswegen wusste er auch, dass die Modernisierungssehnsüchte in dem damaligen katholischen Milieu zwar Reformen ersehnten – siehe Konfessionsschule -, aber nicht auf einen grundsätzlichen Bruch abzielten. Für die Menschen war trotz allem ganz selbstverständlich:  Die Kirchen sind eine prägende gesellschaftliche Kraft und die deutsche und die europäische Kultur wurzeln im christlichen Humus  – das stand überhaupt nicht zur Debatte: Die Menschen tickten genauso wie ihr Kanzler – sie waren Pragmatiker, Grundsätzliches war für sie nicht entscheidend. Kohl war ein Bauch-Politiker – und auch ein Bauch-Katholik. Sein Glaube und der selbst gestellte Anspruch, Politik vor einem christlichen Horizont zu gestalten, war eher intuitiv, kein intellektuelles Konzept

Und heute sind die Zeiten anders: Das katholische Milieu verändert sich nicht nur, es erodiert. Bauch-Politiker von heute hätten gar nicht die Möglichkeit, selbst wenn sie es wollten, sich in die Stimmungslage eines solchen Milieus hinein zu fühlen. Es ist einfach kein Machtfaktor mehr. Das kann man beklagen – es ist aber kein Grund, sich in vermeintlich goldene Zeiten aus der Vergangenheit zurückzusehnen.   

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