„Was in der Sache richtig ist, wird nicht falsch, wenn die Falschen zustimmen“ – so lautete einer der Sätze, mit denen der CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz die gemeinsamen Abstimmungen mit der AfD in der Migrationsfrage rechtfertigte. Mittlerweile ist einiges Wasser die Spree hinuntergeflossen: SPD und Grüne bliesen mit freundlicher Unterstützung kirchlicher Organisationen zum Aufstand der Anständigen, CDU-Wahlkämpfer bekommen Morddrohungen und Merz hat auf dem CDU-Parteitag hoch und heilig versprochen, nach der Wahl gebe es mit der AfD „keine Zusammenarbeit, es gibt keine Duldung, es gibt keine Minderheitsregierung, gar nichts“.
Bleibt die Frage: Wenn die „Richtigen“ nach der Wahl nicht zustimmen sollten zu Merz‘ Plänen in Sachen Migration, was passiert eigentlich dann? Wird der CDU-Kanzlerkandidat dann erneut „wortbrüchig“, wie ihm dieser Tage häufig vorgeworfen wird? Und in welche Richtung? Wird er seinen vollmundigen Ankündigungen, was nach der Wahl geschehen zu habe – etwa Zurückweisungen an den Grenzen – untreu werden, oder seiner vielfach beteuerten Versicherung, nicht mit den Rechtspopulisten zusammenzuarbeiten?
Die Brandmauer ist das Werkzeug, mit dem die CDU zerstört werden soll
Man nimmt dem CDU-Chef, der im Bundestag bei heftigem Gegenwind „all in“ gegangen ist, ab, die von den Bürgern so nicht gewollte Zuwanderung wirklich reduzieren zu wollen. Einfach weitermerkeln, dieses Rezept scheint in der CDU wirklich vorbei zu sein. Man steht wieder für etwas. Ein erfreulicher Befund, allein: Das Grundproblem, dass für entsprechende Reformen Mehrheiten notwendig sind, die es links der CDU offenbar nicht gibt, bleibt ungelöst. Es ist mittlerweile knapp eineinhalb Jahre her, dass der Vorsitzende der CDU-Grundwertekommission seinen Rücktritt bekannt gab, nachdem er es gewagt hatte, wenngleich nur auf Länderebene, auf die Möglichkeit von CDU-Minderheitsregierungen hinzuweisen – die sich ihre Mehrheiten dann logischerweise quer durch das ganze politische Spektrum hätten suchen müssen. Dass Merz eine solche nun erneut ausgeschlossen hat, ist angesichts der Hysterie, die große Teile von Politik und Medien schon aufgrund der Geschehnisse der vergangenen Woche entfacht hatten, zwar verständlich. Den echten Befreiungsschlag, der die Union vom Wohlwollen von SPD und Grünen unabhängig gemacht hätte, und ihr damit auch für die Verhandlungen von Mitte-Koalitionen mehr Durchsetzungskraft verliehen hätte, hat er damit aber verpasst.
Mit der AfD wolle man schon deswegen nicht zusammenarbeiten, weil sie die CDU „vernichten“ wolle, das war eine der Begründungen, mit denen Merz sich im Bundestag gegen die Rechtsaußenpartei abgrenzte. Ironisch nur, dass die von der AfD anvisierte Zerstörung der CDU, auf die der Kanzlerkandidat anspielte, genau darauf baut: Weiteres Durchwursteln an der Seite von Roten und Grünen treibe die Wähler unweigerlich von der Union zur AfD, so die Analyse, die mit dem in diesem Wahlkampf in die zweite Reihe verbannten Europaabgeordneten Maximilian Krah verbunden wird. Die Tatsache, dass Merz es offensichtlich für nötig hielt, tatsächlich für einen (folgenlosen) Entschließungsantrag im Bundestag das Tabu gemeinsamer Abstimmung zu brechen, deutet darauf hin, dass man auch in der CDU die Notwendigkeit einer radikalen Emanzipation von Rot-Grün eigentlich erkannt hat – was die Positionierung gegen eine Minderheitsregierung noch paradoxer macht.
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