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Milei oder Merkel, Friedrich Merz?

Wie will der Kanzler in die Geschichte eingehen? Als mutiger Reformer? Oder als Wahrer von „Maß und Mitte“? Wenn die Wirtschaftswende noch kommen soll, sind Entscheidungen gefragt.
Redakteur Jakob Ranke, Merz und Parteispitzen
Foto: DT / IMAGO / dts Nachrichtenagentur | Wie weiter mit diesen Koalitionspartnern? Eine Trennung der Zweckehe mit der Kettensäge wäre vielleicht gar nicht das schlechteste.

„Was dieser Präsident dort macht, ruiniert das Land“ – so lautete Friedrich Merz’ Einschätzung der Politik des argentinischen Präsidenten Javier Milei noch im Bundestagswahlkampf. Nun ist der in den vergangenen Wochen schon mit einiger Genugtuung Totgeschriebene in den Zwischenwahlen wieder auferstanden. Sein radikal-libertäres Reformprojekt, das den Argentiniern vieles abverlangt, dafür aber glaubhaft eine bessere Zukunft verspricht, kann weitergehen. Den „Ruin“, der nach Jahrzehnten des sozialpopulistischen Peronismus sowieso als Tod auf Raten Realität war, sehen die argentinischen Wähler durch Milei offenbar gerade nicht kommen.

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Es wäre also nicht ganz verkehrt, wenn Merz sich Mileis relativen Erfolg noch mal genau ansehen würde. Die wichtigste Botschaft dabei: Mit mutiger, visionärer Politik lassen sich Wahlen gewinnen. Beim deutschen Kanzler waren bekanntlich nur die Ankündigungen vor der Wahl mutig: Die Schuldenbremse wollte Merz nicht antasten, seinen 5-Punkte-Plan zur Migration haben die meisten schon wieder vergessen. Die gelegentlichen verbalen Kontrollverluste blieben Merz auch nach der Wahl erhalten, allein, die Politik seiner Regierung schreibt den Status quo fort oder verschlimmert die Lage, ob bei Rente, Bürgergeld oder Bürokratieabbau.

2025 wieder über 50 Prozent Staatsquote

Dabei zeigen die Wirtschaftsdaten, dass der angekündigte „Herbst der Reformen“ dringend notwendig wäre. Zuletzt machte eine Grafik des Münchner ifo-Instituts die Runde, die unmissverständlich zeigt, wo das Problem liegt: Seit etwa 2018 gehen die privaten Investitionen nach unten, während die staatlichen Konsumausgaben seit 2015 um 25 Prozent gestiegen sind – bei seit 2018 real grob unveränderter Wirtschaftsleistung. Deutschland erlebt also nicht nur seit Jahren einen wirtschaftlichen Niedergang. Auch die Zusammensetzung der Wirtschaftsleistung taugt immer weniger als Grundlage für zukünftiges Wachstum. Die Lage sei, so ifo-Präsident Clemens Fuest, „mittlerweile dramatisch“. Passend dazu schätzt der Internationale Währungsfonds, dass Deutschland 2025 erstmals seit der Coronakrise wieder eine Staatsquote über 50 Prozent haben wird, nur diesmal ohne eine Krise, die zur Rechtfertigung herangezogen werden könnte.

Dass es in Deutschland wirtschaftlich schlecht läuft, kann dabei am allerwenigsten denen egal sein, die sich – wie etwa die Kirchen, die Mileis rabiat staatskritisches Vorgehen bislang genauso skeptisch beurteilt haben wie der Bundeskanzler – um die grundsätzliche Erhaltung des Sozialstaats sorgen. Auch dem „Stadtbild“, an dessen Verbesserung der Kanzler gerne mit Abschiebungen arbeiten möchte, kommt ein solventer Staat zugute: Integration und Sicherheit kosten Geld. Tragfähige Staatsfinanzen brauchen aber Wirtschaftswachstum.

Was bringt die Koalition, wenn sie nur den Abstieg moderiert?

Merz steht nun bei gleich mehreren aktuellen Projekten vor der Wahl: Soll er, wie Angela Merkel ihm jüngst mit Blick auf die Stadtbild-Debatte ungefragt empfahl, „Maß und Mitte“ wahren? Übersetzt in Realpolitik würde dies etwa bedeuten, weiter eine Bürgergeldreform zu betreiben, die keine nennenswerten Einsparungen bringt, das Rentenniveau tatsächlich (auch nach 2031) auf 48 Prozent festzuschreiben oder das Tariftreuegesetz von Arbeitsministerin Bärbel Bas, das zum Bürokratiemonstrum zu geraten droht, durchzuwinken. Deutschlands Stagnation würde damit weiter zementiert.

Oder traut sich Merz, seinem Koalitionspartner Beine zu machen und wenigstens wirtschaftsfeindliche Gesetze zu stoppen? Es muss ja nicht gleich die „Kettensäge“ sein, mit der der staatlichen Fehlsteuerung Einhalt geboten wird. Schon jetzt grübeln nicht wenige in der Union über die Option einer Minderheitsregierung nach. Denn was ist mit einer Koalitionsmehrheit gewonnen, wenn das Land unter ihr einen unweigerlichen Abstieg erlebt?

Mileis Zwischenerfolg zeigt, dass Mut auch in der Politik belohnt werden kann. Ein Anlass zum Einstieg in eine mögliche Kehrtwende bietet nächste Woche das „Entlastungskabinett“, das Karsten Wildberger (CDU), der erste „Bundesminister für Digitales und Staatsmodernisierung“ (schon mal gehört?), angekündigt hat. Noch sollen, wie das „Handelsblatt“ weiß, die meisten seiner Kabinettskollegen trotz mehrfacher Aufforderung noch keine Vorschläge zum Bürokratieabbau in ihren Ressorts eingereicht haben. Kanzler Merz, übernehmen Sie!

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