Haben Sie schon mal etwas von Jürgen Elsässer gelesen? Das ist der Mann, der hinter „Compact“ steht, der Zeitschrift, die heute von Bundesinnenministerin Nancy Faeser verboten worden ist. Sollten Sie einmal in einen Artikel von ihm schauen oder ein Video von ihm sehen, dann finden Sie dort tatsächlich all das wieder, von dem auch das Innenministerium in seiner Begründung für das Verbot spricht: antisemitische, rassistische, minderheitenfeindliche, geschichtsrevisionistische und verschwörungstheoretische Stereotypen.
Diese ideologische Prägung ist so deutlich, dass sie auch dem unpolitischsten Menschen auffallen wird. Und deswegen könnte man auch sagen: Das beste Mittel gegen diese Zeitschrift ist sie selbst. Denn sie ist letztlich ein Sektenprodukt, sie ist an Gläubige gerichtet. Entweder man teilt die Glaubenssätze, die Elsässer und Co. über den Lauf der Welt aufgestellt haben, oder man wird diese Publikation nur verstört zur Seite legen können.
Gefährlicher Solidarisierungseffekt freigesetzt
Genau diese Erfahrung ist nun dank des Verbotes nicht mehr möglich. Stattdessen kann ein gefährlicher Solidarisierungseffekt freigesetzt werden: Es gibt einen großen Teil der Bevölkerung, der das Gefühl hat, dass Positionen, die auch nur irgendwie als „rechts“ konnotiert werden können, in der Öffentlichkeit gezielt marginalisiert, ja oft sogar kriminalisiert würden. Dieser Teil der Bevölkerung ist weit größer als die Anhängerschaft der AfD und erst recht größer als die Leserschaft von „Compact“.
Ob diese Einschätzung tatsächlich der Realität entspricht, kann hier nicht geklärt werden. Klar ist nur, diese Einschätzung hat eine reale politische Wirkkraft. Viele von denen, die sie teilen, sind so frustriert, dass sie nicht mehr genau hinschauen. Um einen knackigen Kommentar in den sozialen Netzwerken zu formulieren, braucht man nur eine Meinungstendenz. Und die wird in folgende Richtung gehen: Der links durchwirkte Staat geht gegen eine unliebsame rechte Publikation vor. So unterkomplex so eine Behauptung auch ist, wir werden sie in unterschiedlichen Varianten in den nächsten Tagen in den Netzwerken lesen. Und bei „Compact“ und zumindest in Teilen der AfD werden sich die Strategen die Hände reiben: Der Staat produziert gerade für ihre Szene Märtyrer. Er macht genau das, was in ihrem Narrativ-Drehbuch für das nächste Kapitel ihrer Kampagne vorgesehen wurde.
Dieser Effekt ist deswegen so verhängnisvoll, weil dabei untergehen wird, welches tatsächlich höchst gefährliche Ideologiegemisch Elsässer zusammenbraut. In den letzten eineinhalb Jahrzehnten hat der 67-Jährige sich ein regelrechtes Medienimperium geschaffen, zu dem nicht nur die Zeitschrift gehört, die immerhin eine Auflage von 40.000 Exemplaren hat, sondern auch ein Versandhandel, über den Bücher und CDs vertrieben werden. Es gibt sogar ein eigenes Merchandising. Der letzte Renner: eine Münze mit dem Konterfei des thüringischen AfD-Chefs, der sogenannten „Höcke-Taler“. Die Silbermünze wurde auch als stabile Geldanlage in Zeiten der Inflation angepriesen.
Nähe zur AfD
Ein Merkmal des „Compact“-Komplexes: Das Ganze ist nicht nur die Verbreitungsmaschinerie einer bestimmten Ideologie, Elsässer hat damit auch gut Geld verdient. Ein zweiter Punkt: Die Nähe zur AfD. Der Taler als Tribut an Höcke hat einen politischen Bekenntnischarakter. Höcke, weniger die konkrete Person, sondern als Synonym für eine bestimmte ideologische Linie, wird als der politische Retter verkauft. „Compact“ wäre gerne so etwas wie der ideologische Vorraum zur AfD und gleichzeitig die Verbindung zu Gruppen und Vereinigungen, die rechts von der Partei angesiedelt sind. Vor allem in Ostdeutschland hat dieses Modell zuletzt ganz gut funktioniert. Heißt aber auch: Für den zugebenermaßen mittlerweile winzigen Teil der Gemäßigten in der AfD muss das Verbot ein Tag der Freude sein. Heute zumindest können sie sich in der Illusion wiegen, die „Compactisierung“ der AfD könnte gestoppt werden. Aber das Gegenteil wird der Fall sein. Gerade in den ostdeutschen Landesverbänden dürfte die Zeitschrift zur Pflichtlektüre der Funktionärsschicht gehören.
Auch wenn das Innenministerium das Gegenteil suggeriert, bisher ist es nicht wirklich gelungen, auf den Begriff zu bringen, für welche Ideologie „Compact“ eigentlich steht. Die Zuschreibung zur sogenannten „Neuen Rechten“ schafft hier nämlich nicht wirklich Aufschluss. Elsässer kommt von ganz links, früher schrieb er für die „Junge Welt“ oder das „Neue Deutschland“. Dem Antiamerikanismus, seinem Hass auf den Westen ist er treu geblieben. Das Ganze hat er mit völkischem Antiimperialismus und Antikapitalismus gemixt. Er war Putinist avant la lettre. Alle diese ideologischen Querverbindungen erzeugen eine hohe politische Wirkkraft. Vor allem in Ostdeutschland. Die kommenden Wahlen werden leider beweisen, dass diese nicht durch Verbote gedrosselt werden wird.
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