Am Montag hat CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann den Entwurf des neuen CDU-Grundsatzprogramms vorgestellt. Es wäre nach 1978, 1994 und 2007 das Vierte in der Geschichte der 1945 gegründete Partei. Beschlossen werden soll es im kommenden Jahr. Mit 71 Seiten wäre es auch das Kürzeste. Zum Vergleich: Das derzeit gültige Grundsatzprogramm der Partei umfasst 121 Seiten.
Der von der Programm- und Grundsatzkommission, deren Vorsitzender Linnemann ist, über 22 Monate in 215 Sitzungen erarbeitete Entwurf, trägt den Titel „In Freiheit leben – Deutschland sicher in die Zukunft führen“. Er verpflichtet, anders als ein Koalitionsvertrag, de facto zu wenig oder sogar zu gar nichts. Aber er macht doch deutlich, wie die Partei von anderen gesehen werden soll und wohl auch wie die für den Entwurf verantwortlichen sie selbst sehen. Das gilt auch für den Lebensschutz, der dort auf Seite 33 thematisiert wird.
„Höchster Stellenwert“ und „überragende Bedeutung“
Die entsprechende Passage, umfasst nur acht Sätze, von denen keiner ein echter Knüller ist. Sie lautet: „Wir sind für Lebensschutz. Der Schutz des Lebens in allen Lebenslagen hat für uns Christdemokraten eine überragende Bedeutung. Das ungeborene Leben bedarf unseres besonderen Schutzes. Die geltende Rechtslage zum Schwangerschaftsabbruch bildet einen mühsam gefundenen gesellschaftlichen Kompromiss ab. Zu dieser Rechtslage stehen wir. Um es Frauen und Männern in Konfliktsituationen zu erleichtern, sich für das Leben zu entscheiden, setzen wir uns für gute Hilfsangebote und ein entsprechendes gesellschaftliches Klima ein. Mit der hohen Zahl an Abtreibungen finden wir uns nicht ab. Auch bei alten oder schwer erkrankten Menschen achten wir ihre unantastbare Würde und räumen der Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens den höchsten Stellenwert ein.“
Dabei fällt vor allem Zweierlei auf: Verglichen mit dem Grundsatzprogramm von 2007 räumt die Partei hier Positionen, wie die explizite Ablehnung aktiver Sterbehilfe, der menschlichen Embryonen verbrauchenden Forschung, der Präimplantationsdiagnostik oder des Klonens von Menschen. Das ist durchaus verständlich: Denn unter der Regie von Angela Merkel hat die Partei sowohl die verbrauchende Embryonenforschung als auch die Präimplantationsdiagnostik mitermöglicht. Papier ist eben geduldig.
Anderseits verbindet die CDU, wie in keinem anderen ihrer Grundsatzprogramme zuvor, das Eintreten für den Lebensschutz erstmals mit der Partei selbst. Dass der Staat das Leben – auch das Ungeborene – schützen müsse, konnte man bei der CDU immer lesen. Dass dieser Schutz für „Christdemokraten“ eine „überragende Bedeutung“ habe, ist neu und wurde so noch nie formuliert. Gleiches gilt für die Formulierung, dass die Partei „der Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens“ an dessen Ende „höchsten Stellenwert“ beimesse.
Die Partei atmet wieder
Am Ende kommt es auch hier einzig und allein auf Taten an. Schöne Worte allein schützen kein einziges Leben. Und doch spürt man, wie an anderen Stellen des Programms auch: Die Partei atmet wieder. Der einstige Kanzlerwahlverein regeneriert sich. Die Ära der Technokraten und bloßen Verwalter der Macht scheint zumindest vorübergehend vorbei zu sein. Es gab und gibt schlechtere Neuanfänge.
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