In Spanien entschied ein Gericht gegen eine religiöse Männergemeinschaft, weil sie eine Frau nicht als Mitglied aufnehmen wollte. In der Schweiz sprach das Verwaltungsgericht von Lausanne einer katholischen Mädchenschule die öffentliche Förderung ab, mit der Begründung, die Schule übe als katholische Mädchenschule Diskriminierung aus, obwohl der Religionsunterricht dort nicht verpflichtend war. In Großbritannien werden Menschen strafrechtlich verfolgt, weil sie in einer Bannmeile um Abtreibungskliniken schweigend gebetet haben.
In Finnland steht die Politikerin und frühere Innenministerin Päivi Räsänen weiterhin vor Gericht, weil sie 2019 auf Twitter einen Bibelvers zitierte und die Kirche wegen deren Unterstützung von Pride-Paraden kritisierte. Und in Frankreich wurde ein Lehrer sanktioniert, weil er im Rahmen eines Unterrichts über lokales Kulturerbe einen Text der heiligen Bernadette behandelte – vom Gericht als Verstoß gegen die staatliche Neutralität gewertet.
Anstieg an Gewalt und Diskriminierung
Dies sind nur einige der rechtlichen Beschränkungen, die Christen 2024 in Europa erfahren haben. Vor diesem Hintergrund stellte die Wiener Beobachtungsstelle OIDAC – die „Observatory on Intolerance and Discrimination against Christians in Europe“ – am Dienstag ihren aktuellen Bericht im Europäischen Parlament vor. Im Rahmen eines Treffens der „Intergruppe für Religions-, Glaubens- und Gewissensfreiheit“ präsentierte OIDAC-Direktorin Anja Tang die neuen Daten.
Insgesamt dokumentierte ihre Organisation 2.211 antichristliche Hassverbrechen, darunter 274 persönliche Angriffe. Tang betonte, dass OIDAC Daten aus Polizeistatistiken, Regierungsberichten und zivilgesellschaftlichen Quellen mit ihrer eigenen Dokumentation kombiniere, dabei aber Doppelzählungen konsequent vermeide. „Unsere Zahlen sind daher eine sehr konservative Schätzung“, sagte sie. Die Dunkelziffer sei hoch, wie beispielsweise eine Befragung unter polnischen Priestern zeige, in der ein Großteil der Betroffenen Übergriffe gar nicht melde.
Christen zensieren sich selbst
Unter den „schockierendsten Vorfällen“ nannte Tang den tödlichen Angriff auf einen 64-jährigen Mönch in Spanien, bei dem mehrere weitere Ordensleute verletzt wurden, und die Erschießung eines Kirchgängers in der Türkei. Hinzu kämen zahlreiche Brandstiftungen – 94 Stück zählte das OIDAC allein 2024. Im Blick auf rechtliche Einschränkungen erklärte Tang, dass dort ein Muster sichtbar werde: „Christen sehen sich Sanktionen und sogar strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt, wenn sie öffentlich und friedlich traditionelle christliche Weltanschauungen ausdrücken.“
Zwar seien juristisch lediglich Minderheiten betroffen, doch die Auswirkungen reichten weit über diese Gruppen hinaus. Viele Christen berichteten, dass sie ihre religiösen Überzeugungen nicht mehr offen äußern könnten und sich zunehmend an den Rand gedrängt fühlten. Die Folge sei wachsende Selbstzensur – aus Sorge um die berufliche Zukunft, das Arbeitsklima, das akademische Umfeld, Freundschaften oder sogar um die eigene Gesundheit. In Deutschland zeigte eine repräsentative Umfrage, dass knapp die Hälfte der Befragten unter 29 Jahren der Meinung ist, feindliche Einstellungen gegenüber Christen seien „weit verbreitet“.
Behörden verschließen die Augen vor Christenfeindlichkeit
Die Konferenz wurde von dem niederländischen Europaabgeordneten Bert-Jan Ruissen eröffnet, Vertreter der European Christian Political Party (ECPM), die aktuell mit vier Abgeordneten im Europäischen Parlament vertreten ist. Die Europäische Union sei „auf christlichen Werten gegründet. Das Christentum ist in allen EU-Staaten fest verwurzelt“, erklärte Ruissen.
„Doch jetzt beobachten wir einen Anstieg von Vorfällen und Gewalt gegen Christen.“ Dieses Phänomen werde „von nationalen wie europäischen Behörden weitgehend ignoriert“. Dabei betreffe die Entwicklung nicht nur Kirchengebäude, sondern auch den Alltag vieler Menschen, etwa im beruflichen Kontext, in der Bildung, in Fragen der Meinungsfreiheit und der Rolle der Kirche in der Gesellschaft. Sein Fazit: „Wir müssen jetzt handeln und diesem Phänomen entgegenwirken.“
Auch im Europäischen Parlament wird diskriminiert
Der italienische Europaabgeordnete Paolo Inselvini erinnerte daran, dass in der EU zwar häufig über Christenverfolgung weltweit gesprochen werde, aber kaum über die Situation in Europa selbst. Es sei jedoch wichtig, auch über Formen der Intoleranz innerhalb der EU-Länder zu sprechen und die christlichen Werte, Wurzeln und Identität Europas zu verteidigen. Selbst „im Europäischen Parlament“ komme es laut Inselvini zu Diskriminierung gegen Christen: „Menschen werden unterschiedlich behandelt, weil sie gläubig sind.“
Gleichzeitig verwies er mit Blick auf Italien darauf, dass eine gute Zusammenarbeit zwischen Kirchen und staatlichen Behörden die Lage verbessern könne. „Religionsfreiheit bedeutet, seinen Glauben offen und ohne Angst leben zu können“, so Inselvini. Jeder solle eine Kirche betreten, ein Kreuz tragen, öffentlich beten oder über seinen Glauben sprechen dürfen, „ohne Angst, ohne Scham und ohne als Problem behandelt zu werden“. Christen zu schützen sei „kein Privileg, sondern eine Frage grundlegender Menschenrechte und der Menschenwürde“.
OSZE-Leitfaden nimmt Politik und Medien in die Pflicht
In der weiteren Diskussion stellte Anja Tang die Frage, was konkret getan werden könne. Sie verwies auf ein neues Instrument, das Hoffnung mache: Die OSZE habe erstmals Leitlinien zur Bekämpfung antichristlicher Hasskriminalität herausgegeben. Bemerkenswert daran sei, dass dieses Dokument nicht nur die Taten selbst benenne, sondern auch deren Ursachen. Die OSZE erkläre, dass solche Hassverbrechen oft verharmlost und politisch ignoriert würden. Außerdem entstünden sie nicht im luftleeren Raum, sondern würden durch die politische und mediale Atmosphäre verstärkt. Eine der Empfehlungen der OSZE-Leitlinien lautet daher, darauf zu achten, dass Sprache in Medien und Politik keine antichristlichen Vorurteile transportiere.
Zum Abschluss formulierte Ruissen die Forderungen der Intergruppe an die Europäische Union: Erstens wünschen die beteiligten Abgeordneten die Ernennung eines Koordinators für die Bekämpfung antichristlicher Hassverbrechen, analog zu den bereits existierenden Koordinatoren für die Bekämpfung von Antisemitismus und Islamfeindlichkeit. Das Gleiche gelte für EU-Förderprogramme zur Bekämpfung antichristlichen Hasses, die die bestehenden Programme gegen Antisemitismus und gegen islamfeindliche Diskriminierung ergänzen müssten.
Mitgliedstaaten sollen Daten erheben
Des Weiteren fordert die Arbeitsgruppe den für Sicherheitsfragen zuständigen EU-Kommissar Magnus Brunner dazu auf, von den EU-Mitgliedstaaten eine systematische Datenerhebung zu antichristlichen Hassverbrechen zu verlangen. Außerdem, so Ruissen, müsse die Europäische Grundrechteagentur erklären, warum sie über die Lage von Muslimen und Juden in Europa detailliert berichte, nicht aber über die Situation von Christen.
Ein wichtiges Signal erfolgt derweil ebenfalls diese Woche: Das Europäische Parlament nimmt in diesem Jahr zum ersten Mal am „Red Wednesday“ teil und wird am Mittwochabend in Rot erstrahlen, wie Hunderte weitere Gebäude rund um die Welt. Damit macht das internationale Hilfswerk „Kirche in Not“ auf weltweite Einschränkungen der Religionsfreiheit aufmerksam.
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