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Annalena und der alte weiße Mann

Bismarck muss das Auswärtige Amt verlassen. Statt auszuarbeiten wird verdrängt - und die Geschichte einer Ideologie unterworfen.
Ausstellung "Richard Wagner und das deutsche Gefühl"
Foto: Wolfgang Kumm (dpa) | Erträgt unsere Gesellschaft die von der eigenen Ideologie abweichenden Weltbilder nicht einmal als historische Phänomene? fragt Anna Diouf.

Im Auswärtigen Amt ist kein Platz mehr für alte weiße Männer. Bismarck muss gehen. So will es Annalena Baerbock, und benennt nicht nur das Bismarck-Zimmer um, sondern exiliert auch gleich das Bildnis des Gründers der Institution aus dem Saal.

Verständnislos gegenüber kollektiver Erinnerung

Die Entscheidung fügt sich in eine gesellschaftliche Attitüde gegenüber unseren Vorfahren, die man nur mit Besorgnis betrachten kann: Eine Haltung, so arrogant wie ignorant; desinteressiert an der Komplexität der Ereignisse und an der Ambivalenz unseres Menschseins. Verständnislos gegenüber kollektiver Erinnerung. Dafür aber strotzend vor Selbstbewusstsein: Man muss kein Fan Bismarcks sein. Kritik ist statthaft und angemessen. Sowohl sein wegweisender als auch sein problematischer Beitrag zur deutschen Geschichte ist und wird durch die Wissenschaft aufgearbeitet. Nicht wegzudiskutieren ist allerdings, dass er eine bedeutende Gestalt ist – was man über Annalena Baerbock noch keineswegs mit Sicherheit behaupten kann. Das ficht sie aber offensichtlich nicht an.

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Geschichte wird einer Ideologie unterworfen, die die eigenen Prämissen noch rückwirkend der Vergangenheit aufprägen will. Da Historie niemals neutral betrachtet wird, wäre es umso wichtiger, hier einen besonders hohen Anspruch zu formulieren. Erinnerung an historische Persönlichkeiten muss vertieft, nicht getilgt werden. In einem Deutschland, das von politischem Personenkult einigermaßen frei ist, muss man nicht davon ausgehen, dass ein Gemälde von Bismarck deutsche Großmachtphantasien wiederbeleben könnte. Diplomatische Ränkespiele höchster Güte traut man der gegenwärtigen Regierung ohnehin nicht zu.

Verdrängung wird mit Aufarbeitung verwechselt

Andererseits ist die Gesellschaft mit ihren wohlfeilen antikatholischen Reflexen und einer gewissen Sympathie für „deutsch-katholische“ Ansinnen zumindest innenpolitisch gar nicht so weit weg von Bismarcks kulturkämpferischer Linie. Das ist Baerbock wohl kaum bewusst.

Die problematischen Aspekte von Lebensleistungen deutlich zu machen, ohne in Bausch und Bogen zu verdammen, ambivalenten Persönlichkeiten einen angemessenen Platz in der allgemeinen Erinnerung zuzubilligen: Das scheint zunehmend weniger vermittelbar. Im Zusammenspiel mit anhaltenden Diskussionen um die Umbenennung von Straßen und mit den Querelen um das Berliner Stadtschloss ergibt sich das Bild einer Gesellschaft, die Verdrängung mit Aufarbeitung verwechselt, die von der eigenen Ideologie abweichende Weltbilder nicht einmal als historische Phänomene erträgt.

Warum nicht Frauen sichtbarer machen?

Will Baerbock unser Geschichtsbild „diversifizieren“, Geniekult kritisch reflektieren? Das ließe sich mit einem konstruktiven Ansatz besser verwirklichen: Anstatt „alte weiße Männer“ zu marginalisieren, könnte man zum Beispiel die zahlreichen Frauen, die die Geschichte Deutschlands und Europas prägen, sichtbarer machen. Diese gewinnen ja nicht dadurch, dass man ihnen männliche Konkurrenz aus dem Weg räumt, sondern dadurch, dass man zeigt, dass sie sich mit ihren männlichen Zeitgenossen messen konnten.

Vermutlich wählt man intuitiv den umgekehrten Weg. Denn keinesfalls lassen sich alle großen Politikerinnen der Vergangenheit mühelos für säkular-postmoderne Ideologien vereinnahmen. Manch eine war zu fromm, zu konservativ, oder gar zu nationalistisch. Das gilt für alle „Minderheiten“: Gewinnen sie an Sichtbarkeit, verlieren sie den kollektiven Opferstatus, kann man den alten weißen Mann nicht mehr pauschal zum Täter erklären. Man kann nur hoffen, dass die zahlreichen Bismarck-Eichen auf deutschen Fluren aufgrund ihrer Klimakampfnützlichkeit von der Axt der Geschichtskorrektheit verschont bleiben.

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