Nostalgie – bei den Feinden, wie bei den Freunden: Dass die Memoiren von Angela Merkel in aller Munde sein werden, war klar. Sie sind wortwörtlich tatsächlich der Gesprächsstoff, der von allen Mündern bearbeitet wird: Sowohl die Anhänger der Ex-Kanzlerin wie ihre ausgewiesenen politischen Gegner werden nicht müde, das Erinnerungswerk zum Anlass zu nehmen, noch einmal die Ära der ersten deutschen Kanzlerin zu bilanzieren.
Was allerdings ziemlich nervt, ist die rückwärtsgewandte Perspektive dabei, mal aus der linken, dann aus der rechten Richtung. Verklärung lautet die Devise der Fans, Verdammung, die der Kritiker. Das alles ist in der Regel ziemlich vorhersehbar, kaum ein Analyst überrascht mit seinen Bilanzen.
Angela Merkel als politischer Typus
Vor allem ein Aspekt, der eigentlich auf der Hand liegen würde, wird kaum aufgegriffen: Angela Merkel als politischer Typus. Unabhängig von den Inhalten (spielten Inhalte für die Kanzlerin wirklich je eine zentrale Rolle?), repräsentiert Merkel sozusagen in Reinform einen Typus des politischen Machthandwerkers, der sowohl links wie auch rechts seine politische Heimat finden kann. Seine wichtigsten Fähigkeiten: Dauerhaft Mehrheiten sichern, indem man die Trends, die gerade den Zeitgeist prägen, aufgreift. Und gleichzeitig, die eigene politische Partei in diese zeitgeistige Richtung führen, ohne dass sie es wirklich merkt, zumindest ohne dass es zu spalterischen inhaltlichen Debatten kommt.
Interessanterweise ist es gerade die AfD, die gewissermaßen aus einer machtpolitischen Not heraus den politisch-handwerklichen Stil der Ex-Kanzlerin imitieren könnte: mit Alice Weidel als einer Angela Merkel für das Lager rechts der Mitte. Man könnte auch sagen, als Repräsentantin einer „vernünftigen Rechten“. So wie Merkel in Zeiten, in denen die Gesellschaft links der Mitte getickt hat, die Repräsentantin einer „vernünftigen Linken“ war.
Um zu verstehen, was damit gemeint ist, muss man etwas ausholen: Vor wenigen Wochen veröffentlichte der Historiker Karlheinz Weißmann eine aufschlussreiche Studie über die deutsche Nachkriegsrechte („Zwischen Reich und Republik: Geschichte der deutschen Nachkriegsrechten“, Verlag Junge Freiheit). Man muss hier zwar bedenken: Weißmann ist ein Vordenker der sogenannten „Neuen Rechten“ (ein unzulänglicher Begriff, aber es gibt keinen anderen), schaut also in einer ganz bestimmten Perspektive auf das Thema.
Was eine „vernünftige Rechte" ausmacht
Aber der 65-Jährige arbeitet geschichtswissenschaftlich sauber, viele seiner Erkenntnisse sind aufschlussreich. So hat er etwa einen spannenden Gedanken von Konrad Adenauer ausgegraben. Der Gründungsvater der Bundesrepublik wie der CDU habe die Notwendigkeit einer „vernünftigen Rechten“ betont. Der „Alte aus Rhöndorf“ war sich im Klaren darüber, dass die Rechte ein natürlicher Bestandteil des politischen Gesamtspektrums ist. Wenn sie also schon einmal da ist, gilt es sie politisch für die eigenen politischen Ziele, vor allem natürlich für den Machterhalt, nutzbar zu machen.
Das bedeutete für ihn, die Vertreter dieser Rechten in die Union als nicht-linke Sammlungspartei zu integrieren oder doch zumindest aus ihren politischen Vertretern brauchbare Koalitionspartner zu machen. „Vernünftig“ war diese Rechte für ihn, weil sie einmal natürlich ganz klar vom Extremismus oder Neonazismus abgegrenzt war, vor allem aber, weil sie Adenauers politische Grundziele – Westbindung, europäische Einigung, Sozial Marktwirtschaft – mitgetragen hat.
Diesen Ansatz entwickelte Adenauer in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Als Angela Merkel ins Kanzleramt strebte, sah die Gesellschaft ganz anders aus. In den 2000ern war der Zeitgeist linksliberal. Trotzdem könnte man sagen, dass die Machttaktikerin Merkel ihren Adenauer gelesen hatte. Auch sie setzte auf Integration, allerdings, passend zu den Verhältnissen, von links. Sie machte sich zur Repräsentantin der „vernünftigen Linken“. Sie hatte eine Strahlkraft bis in das grüne Milieu hinein und sicherte sich so die Macht.
Die Deutungshoheit liegt längst rechts der Mitte
Nun hat sich der Zeitgeist wieder gedreht. Die Deutungshoheit liegt längst rechts der Mitte. Eigentlich wäre es also in der Zeit, dass sich die Union wieder an Adenauers Konzept von der „vernünftigen Rechten“ erinnert. Ironischerweise würde sie gerade dann das Merkelsche Erbe weiterführen und sich machtpolitisch auf die Fährte ihrer letzten Kanzlerin begeben.
Aber ob im Adenauer-Haus trotz des Namens so weit gedacht wird? Zweifel scheinen angebracht. Derweil versuchen zumindest manche Kräfte in der AfD, ihre Partei zur Repräsentantin einer vernünftigen Rechten zu machen, die in die Mitte der Gesellschaft hin ausgreifen kann. Ihre Merkel ist Alice Weidel. So wie Merkel (geschieden, kinderlos) vom Habitus nicht der Stammwählerschaft ihrer Partei entsprach, aber gerade ja deswegen als Stimmen-Magnet für andere Milieus wirken konnte, so könnte es nun auch bei der mit einer Frau verheirateten Weidel sein.
In der Schweizer „Weltwoche“ hat Weidel nun eine persönliche Kolumne bekommen. Offenbar setzen die AfD-Strategen darauf, es etwas menscheln zu lassen. Friedrich Merz sollte die Kolumne genau lesen.
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