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Adenauer oder Väterchen Stalin?

Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer fragt, ob mit der Ablehnung der Stalin-Note 1952 nicht eine historische Chance vertan worden wäre. Steht der CDU-Politiker noch auf dem Boden der Westbindung?
Michael Kretschmer, Ministerpräsident von Sachsen
Foto: IMAGO/Sylvio Dittrich (www.imago-images.de) | Michael Kretschmer, Ministerpräsident von Sachsen, stellte in einer Rede vor dem Historikertag in Leipzig fest, man müsse doch vielleicht noch einmal darüber nachdenken, ob die heute gängige Sicht auf die Stalin-Note ...

Als CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann vor einigen Tagen das neue Design für seine Partei vorstellte, haben viele gelacht. Die neuen Farbtöne wurden als „Rhöndorf-Blau“ und „Cadenabbia-Türkis“ betitelt. Sicher, das ist eine putzige Referenz an Bundeskanzler Konrad Adenauer und dessen Wohn- und Lieblingsurlaubsort. Aber gibt es in der aktuellen Krisenzeit nicht Wichtigeres als solche Albernheiten?

Nun könnte die Union schon schnell beweisen müssen, ob sie auch mit Blick auf ihr inhaltliches Design noch auf dem Boden der Grundsatzentscheidungen steht, die der Gründungskanzler der Bundesrepublik getroffen hat. Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer hat nämlich quasi ganz nebenbei angeregt, dieses programmatische Tafelsilber seiner Partei doch einmal zu prüfen.

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In einer Rede, ausgerechnet vor dem Historikertag in Leipzig, stellte er fest, man müsse doch vielleicht noch einmal darüber nachdenken, ob die heute gängige Sicht auf die Stalin-Note im Jahr 1952 richtig sei. Wörtlich: „Manchmal habe ich das Gefühl: Diesen Teil der Geschichte muss man noch mal besprechen, da ist noch was.“

Nicht durch Interesse für zeitgeschichtliche Probleme aufgefallen

Gewiss, mit Blick auf jedes historische Ereignis ist der geschichtswissenschaftliche Forschungsprozess nie endgültig abgeschlossen. Da können immer Quellen neu gewichtet oder neue Forschungsfragen gestellt werden. Aber darum geht es Kretschmer nicht, der bisher auch nicht dadurch ausgefallen ist, dass er sich besonders für zeitgeschichtliche Probleme interessieren würde. Der sächsische Ministerpräsident macht Geschichtspolitik. Er will ganz offensichtlich eine Säule, die bisher das politisch-kulturelle Selbstverständnis der Bundesrepublik getragen hat, zumindest ins Wackeln bringen: die Westbindung.

1952 hatte der sowjetische Diktator Josef Stalin den Westmächten in einer Note angeboten, einem wiedervereinigten Deutschland zuzustimmen, wenn denn dieses Land neutral wäre. Was auf den ersten Blick vielleicht als interessante Option erscheinen mag, war vor allem der Versuch, die Bundesrepublik aus dem Westen herauszubrechen. Es ist natürlich etwas spekulativ, darüber nachzudenken, wie denn dann die gesellschaftliche Realität in einem solchen Deutschland ausgesehen hätte. Aber eines kann man sagen: sicher keine Soziale Marktwirtschaft in der uns bekannten Form, andere politische Mehrheiten, sicherlich keine bürgerliche Koalition, und deutliche Distanz zu den USA, wahrscheinlich aber wäre dieses neutralisierte Deutschland als Beiboot im Fahrwasser der Sowjetunion geschwommen. Mit allen Folgen, die das für die Geltung der Freiheits- und Grundrechte gehabt hätte. Kurz, etwas zugespitzt: Die geistigen Großeltern derjenigen, die jetzt die sogenannte Wagenknecht-Partei herbeisehnen, hätten sich dort ziemlich wohlgefühlt. 

Noch kein parteiweiter Aufschrei

Die Regierung Adenauer hat damals klar die Stalin-Note abgelehnt. Adenauer, der ja von seinen nationalen Gegnern von Rudolf Augstein bis hin zur damals noch nationalen SPD nicht zuletzt deswegen als „rheinischer Separatist“ verunglimpft wurde, zeigte damals politische Führung. Und bisher war man in der Union darauf stolz. 

Warum zündelt nun Kretschmer? Ist es nur Taktik? Unkenntnis? Interessanterweise gab es bis jetzt übrigens noch keinen parteiweiten Aufschrei. Ganz anders übrigens als bei Andreas Rödder. Der Geschichtsprofessor, der auch die Grundwertekommission der CDU leitet, hatte kürzlich über einen anderen taktischen Umgang mit der AfD nachgedacht. Dabei ganz klar Bündnisse und Koalitionen ausgeschlossen, aber gegen starre Brandmauer-Konzepte plädiert. Der Shitstorm ließ nicht lange auf sich warten. Dabei steht bei dem Historiker Rödder völlig außer Frage, dass er fest auf dem Boden des Adenauerschen Erbes steht. Bekommt der Sachse eine Extrawurst? Schließlich: Die Sachsen-Union geht auch mit Blick auf das Partei-Design einen Sonderweg. Es bleibt beim angestammten Grün.

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