Der Deutsche Bundestag wird vor der Bundestagswahl am 23. Februar nicht mehr über den „Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs“ (Bundestagsdrucksache 20/13775) in Zweiter und Dritter Lesung beraten. Weil CDU/CSU und FDP sich gestern weigerten, eine Sondersitzung des Rechtsausschusses für den heutigen Dienstag anzuberaumen und den Entwurf an das Plenum zurückzuüberweisen, hätten SPD und Bündnis 90/Die Grüne eine solche Sondersitzung nur erzwingen können, wenn sie sich bereitgefunden hätten, dafür mit der AfD zu stimmen. Eine solche „Zufallsmehrheit“ hätten die Obleute von SPD und Bündnisgrünen im Ausschuss jedoch nicht riskieren wollen, heißt es. Ob die AfD ihrerseits dafür gestimmt hätte, ist allerdings fraglich.
Bei der am Montagabend stattgefundenen Öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss hatten die Abgeordneten zu dem von 328 Parlamentariern unterstützten Gesetzesvorhaben elf Sachverständige angehört. Dabei bat auch der von der AfD geladene Sachverständige, Kristijan Aufiero, die Abgeordneten, den Gesetzesentwurf „nicht in dieser Form“ zurückzuüberweisen.
Thüsing: Entwurf reißt „Brandmauer des Lebensschutzes“ ein
In der mehr als drei Stunden dauernden Anhörung zerlegten die drei von CDU und CSU bestellten Sachverständigen zusammen mit einer der beiden von der FDP geladenen Sachverständigen den Entwurf buchstäblich nach Strich und Faden. So erklärte etwa der Augsburger Strafrechtler Michael Kubiciel, der Entwurf basiere „auf einer unzutreffenden Tatsachengrundlage“ und einer „teils unzutreffenden Darstellung der Rechtslage“. Er widerspräche der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und sei auch mit dem verfassungsrechtlich gebotenen „vorgeburtlichen Grundrechtschutz nicht vereinbar“.
Der Bonner Arbeitsrechtler Gregor Thüsing, der auch Mitglied des Deutschen Ethikrats ist, nannte den Gesetzesentwurf „juristisch radikal“ und dazu angetan, eine „Brandmauer des Lebensschutzes“ einzureißen. Anders als das Bundesverfassungsgericht, demzufolge auch schon dem Embryo Menschenwürde zukomme, hielten die Verfasser des Gesetzesentwurfs dies für fraglich. „Falsch“ sei auch die Behauptung, die geltende Gesetzeslage widerspräche „internationalen Vorgaben“. Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) oder Ausschüssen der Vereinten Nationen, auf die der Gesetzesentwurf verweise, hätten „keine Verbindlichkeit für das nationale Recht“.
Rostalski: Rechtlicher Schutz gebührt dem Ungeborenen auch gegenüber der Schwangeren
Die von der FDP geladene Kölner Strafrechtlerin und Rechtsphilosophin Frauke Rostalski sagte, es gäbe gar „keine Veranlassung, an der geltenden Rechtlage zu rütteln“. Weder der Gesetzesentwurf noch der ihm zugrunde liegende Kommissionsbericht „lassen uns etwas Neues wissen, was die Wertungen zum Schwangerschaftsabbruch angeht. Es hat sich weder empirisch noch normativ irgendetwas geändert, das nicht bereits ausführlich durch das Bundesverfassungsgericht in dessen Entscheidungen einbezogen wurde“. Und weiter: „Ein vermeintlicher breiter gesellschaftlicher Wertewandel ist empirisch, wie so vieles, was im Entwurf behauptet wird, nicht nachgewiesen.“ Zudem sage „das Bundesverfassungsgericht selbst, dass es verfassungsrechtlich unbeachtlich wäre, sollten sich Anschauungen über die Schutzbedürftigkeit werdenden Lebens einmal ändern“. Auch habe das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich betont, dass bei „der Abwägung von Selbstbestimmung und Lebensschutz, der Lebensschutz Vorrang“ genieße und „dem Ungeborenen auch gegenüber der Schwangeren rechtlicher Schutz“ gebühre.
Der Gynäkologe Matthias David von der Berliner Charité, der bekannte, selbst Abtreibungen durchzuführen und zu lehren, erklärte: „Es gibt eine bedarfsgerechte, flächendeckende, gut erreichbare, sichere medizinische Versorgung in Deutschland. „Wir haben zahlreiche Untersuchungen im Bereich der Versorgungsforschung durchgeführt und keine Hinweise auf eine Verschlechterung oder Veränderungen in der Arzt- oder Ärztinnenanzahl festgestellt.“
Vielmehr sei das Gegenteil sei der Fall. „In den letzten zehn Jahren“ habe es „im Bereich der niedergelassenen Frauenärztinnen und Frauenärzte eine Zunahme von neun Prozent“ gegeben. Auch nähme „die Häufigkeit medikamentös durchgeführter Schwangerschaftsabbrüche zu“, was dazu führe, dass „die Notwendigkeit von stationär durchgeführten oder gar operativ durchgeführten“ Abtreibungen zurückgehe. Auch in der „Aus- und Weiterbildung“ gäbe es „keine Lücke zu verzeichnen“. DT/reh
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