Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Kommentar um „5 vor 12“

2015 wiederholt sich

Der Flüchtlingsgipfel war für Länder und Kommunen eine finanzielle Nullnummer. Schlimmer ist jedoch die Ignoranz der Bundesregierung, was das Grundproblem des Asylwesens betrifft.
Demo gegen Flüchtlingsunterkunft in Upahl
Foto: imago images | So richtig die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge ist, so problematisch ist die zahnlose Asylpolitik der Bundesregierung insgesamt. Im Bild eine Demonstration gegen die Flüchtlingsunterkunft im 500-Seelen-Dorf Upahl.

Ist am Ende Christian Lindner schuld? Der Finanzminister von der FDP liefert sich gerade eine kabinettsinterne Auseinandersetzung mit den Grünen um die Einhaltung der Schuldenbremse im Haushalt 2024. Und jetzt das: Auf dem Berliner Flüchtlingsgipfel hat sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) dem Wunsch von Ländern und Kommunen widersetzt, den Geldhahn aufzudrehen. Vereinbart wurde lediglich die Einrichtung neuer Arbeitskreise und die Überlassung von 333 bundeseigenen Immobilien. „Schon ein sehr gutes Ergebnis“ - findet Faeser. An Ostern werde man nochmal beraten.

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Dieses Ergebnis überrascht, ist es doch bei heiklen Themen gängige Praxis, Probleme mit Geld zuzuschütten. Nun müssen die Kommunen, die unter der Last von über einer Million Flüchtlingen allein 2022 ächzen, sehen wo sie bleiben. Doch es ist tatsächlich unklar, was zusätzliche Geldmittel entscheidend hätten verändern können: Unterbringung, Versorgung und Beschulung der Neuankömmlinge - Lösungen für diese Aufgaben lassen sich bei eklatantem Wohnungs- und Lehrermangel nicht beliebig aus dem Ärmel schütteln. Da mit einem baldigen Kriegsende in der Ukraine nicht zu rechnen ist, aus der aber die meisten schutzsuchenden Menschen kommen, dürfte sich  „2015 wiederholen“, allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz – belegte Turnhallen, Containerdörfer und sich verschärfende gesellschaftliche Auseinandersetzungen inklusive. Einen Vorgeschmack boten jüngst die Auseinandersetzungen im mecklenburgischen 500-Seelen-Dorf Upahl. Ende Januar musste ein Großaufgebot der Polizei dort Hunderte wütende Einwohner davon abhalten, die Kreistagssitzung zu stürmen, in der die Politiker gleichzeitig beschlossen, eine Flüchtlingsunterkunft für 400 Menschen zu errichten.

Der Zeitenwende-Kanzler hat Besseres zu tun

Da Deutschland dem aktuellen Krieg, der ja diesmal wirklich in unserer Nachbarschaft stattfindet, richtigerweise nicht neutral gegenübersteht, sondern sich mit finanzieller Hilfe und Waffenlieferungen für die überfallene Nation engagiert, ist es nur konsequent, auch ukrainische Flüchtlinge aufzunehmen. Das Grundproblem, zu dessen Lösung Faeser allerdings bislang so gar nichts beigetragen hat, besteht darin, dass auch in Jahren ohne gut begründete Ausnahmesituation Hunderttausende Flüchtlinge ohne Bleibeperspektive, ohne Recht auf Asyl nach Deutschland einwandern konnten und immer noch können, und in aller Regel nicht abgeschoben werden.

Nicht nur verweigerte sich die Bundesregierung auf dem europäischen Gipfel vor rund einer Woche einer härteren Gangart gegenüber den Herkunftsländern, um mehr Abschiebungen zu ermöglichen. Mit dem „Chancen-Aufenthaltsrecht“ und den geplanten Erleichterungen bei der Erlangung der Staatsangehörigkeit werden noch darüber hinaus die Anreize erhöht, (illegal) einzuwandern. Bundeskanzler Olaf Scholz würdigte das Treffen übrigens nicht mit seiner Anwesenheit. Während sich seine Vorgängerin 2015 immerhin noch zu den berüchtigt-beschwichtigenden Worten „Wir schaffen das“ genötigt sah, scheint beim Zeitenwende-Kanzler und seiner Regierung gänzlich das Bewusstsein dafür zu fehlen, dass Deutschland erneut auf eine Situation zuläuft, die den sozialen Frieden ernsthaft gefährdet.

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